Wer seine Grenzen nicht kennt, fliegt raus. Da macht Gordana Lamesic kurzen Prozess. Auch an diesem Abend greift die Chefin der Pilsbar im Göckelesmaier-Festzelt auf dem Stuttgarter Frühlingsfest durch: Drei betrunkene Frauen belästigen Gäste, sogar zwei Männer rufen um Hilfe. Als Gordana einschreitet, werden die Damen auch ihr gegenüber ausfällig. „Die waren komplett drüber“, sagt die 48-Jährige. In so einem Fall lässt sich die Barchefin auf keine Kompromisse ein: „Ich habe die Security gebeten, die Damen rauszuschmeißen.“
Für Gordana ist das nichts Besonderes, fast jeden Abend komme es zu solchen Szenen. Die kritische Zeit beginne abends gegen halb acht, wenn die Gäste gegessen und getrunken haben. „Dann kommen sie an die Bar und wollen sich ausleben und Spaß haben“, erzählt Gordana.
Aufrechte Haltung, klare Ansprache
Das Festzelt auf dem Cannstatter Wasen ist kein Arbeitsplatz wie jeder andere, besonders für Frauen nicht. Bier im Überfluss, Menschen, die ihre Grenzen nicht kennen, sexuelle Belästigung – immer wieder gibt es Berichte über die Schattenseiten von Volksfesten. Da bildet das Stuttgarter Frühlingsfest keine Ausnahme.
Auch an diesem Abend fließt in der Pilsbar der Alkohol, ganz oben auf dem Regal über Gordana sind die Flaschen mit hochprozentigen Getränken schaufensterreif aufgereiht: Wodka, Whiskey, Gin, Aperol, Lillet. Direkt hinter dem Tresen zapft die Barchefin zwei Pils. „Was isch passiert?“, fragt die Barchefin einen Mann, der sich gerade mehrere Kurze in den Rachen kippt und dabei das Gesicht verzieht. Auch Gordana genehmigt sich das ein oder andere Mal ein kleines Weizen, aber mehr nicht: „Du darfst nicht trinken, das hält dein Körper nicht aus“, sagt sie.
Seit knapp zehn Jahren schafft Gogi, wie die Barchefin genannt wird, beim Göckelesmaier. Inzwischen ist sie aus dem Zelt auf dem Cannstatter Wasen nicht mehr wegzudenken. Wer ihr gegenüber steht, merkt: Dieser Frau begegnet man mit Respekt. Aufrechte Haltung, klare Ansprache, Augenkontakt. Ihre Ausstrahlung hilft, sich auch gegen schwierige Gäste durchzusetzen. Die schwarzen Haare hat Gordana streng nach hinten zu einem langen Zopf zusammengebunden. Die weiße Bluse sitzt akkurat, ebenso die eng anliegende Lederhose.
Nach drei Jahren Maßkrüge-Schleppen übernimmt sie die Leitung der Pilsbar
Gordana scheint alles im Blick zu haben, gibt Anweisungen an ihre „Mäuse“, wie sie ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen nennt. Sie begrüßt Stammgäste, packt selbst mit an, zapft Bier, räumt leere Gläser auf. 23 Tage geht das so, von 11 Uhr bis nach Mitternacht. Erst am 14. Mai ist Zapfenstreich. „Ich wünschte, ich könnte sie klonen. Es ist, als würde sie seit Jahren zur Familie gehören“, sagt Göckelesmaier-Festwirtin Daniela Maier über ihre Barchefin.
Seit 2014 ist Gordana Teil der Göckelesmaier-Familie: Ganz klassisch begann sie als Kellnerin. Ein Knochenjob. Sie lernte, sich mit bis zu zehn Maßkrügen unfallfrei zwischen den schunkelnden Massen zu bewegen. Ein Leistungssport, der ohne Krafttraining kaum zu stemmen ist – und der ein stabiles Nervenkostüm verlangt. „Ich liebe das Festzelt – und habe immer gesagt, dass ich einmal dort arbeiten möchte“, sagt Gordana. Aus einmal wurde fast ein Jahrzehnt. Nach drei Jahren Maßkrüge-Schleppen übernahm sie die Leitung der Pilsbar.
Hier geht es zwar etwas gesitteter zu, die Gäste sitzen auf Barhockern an kleinen Tischen oder lehnen am Tresen. Im Zelt geht es derweil hoch her. Jungs in Lederhosen und Mädchen in Dirndln haben längst die Bierbänken erklommen – nur die Tische sind tabu. Die Band auf der Bühne, die man auch von der Bar aus gut hören und sehen kann, singt „Marmor, Stein und Eisen bricht“ – die Menge ist textsicher. Auch Gordana und einer ihrer Mitarbeiter lassen sich von der Stimmung anstecken, wippen lachend mit.
„Von der Friseurin bis zum Big Boss – bei mir werden alle gleich bewirtet“
Der Gastronomie ist die 48-Jährige bereits seit dem Teenageralter verbunden. Nach ersten Jobs arbeitete sie „in gehobenen Restaurants“, wie sie sagt. Seit dem Winter leitet sie das Tapas-&-Sushi-Restaurant Mamasaki in Ludwigsburg. Doch wer ihr zuhört und ihr an der Bierbar zuschaut, merkt: Die Arbeit hier will sie nicht missen. „Wir sind hier Glücklichmacher“, sagt sie. „Wir arbeiten mit Menschen, die bei uns eine schöne Zeit verbringen wollen.“
Die Gäste scheinen das zu spüren – und zu honorieren. Etliche Stammgäste belagern Gordanas Pilsbar. „Von der Friseurin bis zum Big Boss einer großen Firma – bei mir werden alle gleich bewirtet“, sagt sie. Immer wieder erscheinen neue alte Bekannte am Tresen. Umarmung, Küsschen rechts, Küsschen links. Gordana hat zwar alle Hände voll zu tun, aber dennoch nimmt sie sich Zeit für die Leute. „Hallo Hübsche, herzlich willkommen in der neuen Saison“, sagt sie zu einer Frau im Dirndl, zündet ihr mit einem Feuerzeug die Zigarette an und ruft ihren Mitarbeitern zu: „Einen Aperol Spritz, bitte!“
Jennifer Hartmann besucht das Göckelesmaier-Festzelt mit ihrer Familie schon seit ihrer Kindheit. „Man wird hier gut bedient, es ist fair, und man findet selten jemand, der so authentisch und freundlich ist wie Gordana. Das gefällt mir“, sagt sie.
„Das Unangenehme erledige ich“, sagt die Barchefin
Fair und freundlich zu bleiben fällt nur dann nicht leicht, wenn man auch mal als „blöde Kuh“ beschimpft wird. „Hast du ein dickes Fell?“, lautet eine Frage, die Gordana in Bewerbungsgesprächen immer wieder stellt. „Das hier ist etwas ganz anderes als in einem Restaurant mit Stern“, sagt sie. „Das ist Vollstress.“ Damit Neulingen der Sprung ins kalte Wasser leichter fällt, bekommen sie zum Start ein zwölfseitiges Büchlein in die Hand gedrückt. Beim Unterpunkt „Ärger und Beleidigungen“ steht: „Egal, was ist, was euch beim Verkauf aufhält, holt mich.“ Und fett hervorgehoben: „Das Unangenehme erledige ich.“
Bis zu 4500 Menschen strömen in einer Abendschicht ins Göckelesmaier-Zelt, „und die wollen alle maximal zehn Minuten auf ihre Maß warten“, sagt Gordana. Dementsprechend resistent müsse man sein, nicht zu empfindlich und – das gelte auch im Festzelt – stets höflich, betont sie. Man dürfe nicht überrascht oder beleidigt sein, wenn jemand mit steigendem Promillewert Schwierigkeiten bekommt, einen kompletten Satz zu formulieren, sagt sie. „Wir verkaufen schließlich keine Crêpes, sondern Alkohol.“ Kann sich jemand überhaupt nicht mehr ausdrücken, zieht auch sie die Bremse: „Der kriegt dann nichts mehr, da bin ich Mama“, sagt Gordana, die das auf ihre liebevolle Art löst, die Hand des Volltrunkenen nimmt und sagt: „Du Süßer, du hast genug.“
Im Zweifel greift die Barfrau hart durch
Und wenn die Hände der Gäste mal dort landen, wo sie nichts zu suchen haben? Wie geht die Barfrau damit um? „Die Gäste sind glücklich, betrunken und umarmen uns dann auch“, erzählt Gordana. „Aber mich hat nie jemand sexuell belästigt.“ Und sollte es doch mal zu weit gehen, weiß die Barchefin, was zu tun ist: „Wer handgreiflich oder vulgär wird, der fliegt raus.“
Zu den schönen Seiten des Arbeitens im Festzelt, das ist kein Geheimnis, gehört das Trinkgeld. Gordana sagt: „Wer hier alle 23 Tage fleißig mitmacht, kann sich seinen Urlaub verdienen.“
Für Gordana geht es nach den wilden Tagen auf dem Wasen nach Paris. Zu einem Konzert der Band Metallica.