Das Beispiel eines Schmetterlings zeigt, wie fein das Gleichgewicht in der Natur austariert ist. Und wie stark der Mensch es stören kann.

Stuttgart - Mit dem Klimawandel Schritt halten? Auf dem Festland werden viele Tiere und Pflanzen das nicht schaffen. Da sind sich Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Halle und seine Kollegen ziemlich sicher. Gemeinsam haben sie ein Kapitel im zweiten Teil des Weltklimaberichtes verfasst. Koordiniert von Settele und seinem Kollegen Robert John Scholes von der südafrikanischen Forschungsorganisation CSIR beschreiben 35 Autoren aus aller Welt den aktuellen Stand der Forschung zum Thema Klimawandel und Ökosysteme auf dem Land.

 

Ein zentrales Ergebnis erklärt Settele am Beispiel des Thymian-Ameisenbläulings. Dieser blauschwarze Falter mit einer Spannweite von rund vier Zentimetern flattert unter anderem auf den Schafweiden der Schwäbischen Alb zu einem blühenden Thymian oder einem Oregano, um dort ein Ei zu legen. Blüte und Samen reichen der geschlüpften Raupe für ihre ersten drei Lebenswochen, dann lässt sie sich von der Pflanze auf den Boden fallen. Jetzt duftet der Schmetterlingsnachwuchs genau wie die Brut der Knoten-Ameise Myrmica sabuleti. Kommt eines dieser Insekten vorbei, schleppt es den vermeintlich verloren gegangenen Nachwuchs seiner Kolonie in den Bau. Dort enthüllt die Raupe ihre wahren Absichten: sie vertilgt die Ameisenbrut. Nach einem Winter und seiner Verpuppung schlüpft dann ein neuer Bläuling, verlässt die geplünderte Ameisenkolonie und beginnt einen neuen Zyklus.

Schmetterlinge brauchen das richtige Umfeld

Die Schmetterlinge können problemlos mit dem Klimawandel Schritt halten: Sie fliegen einfach in Gebiete mit den für sie passenden Temperaturen. Doch sie brauchen das richtige Umfeld. Fehlen Thymian und Oregano oder krabbeln keine Myrmica-sabuleti-Ameisen durch das Gras, hat der Thymian-Ameisenbläuling keine Chance. Thymian und Oregano wachsen auch in wärmeren Regionen, zu warm sollte es allerdings nicht werden, denn dann halten es die Myrmica-sabuleti-Ameisen nicht mehr in ihrem Bau aus. Es sei denn, die Wiesen werden nur noch selten gemäht oder weniger intensiv beweidet. Dann beschattet das höhere Gras Boden und Ameisenbau gleichermaßen, die Temperaturen sinken – und auch die Schmetterlinge haben wieder eine Chance.

Damit wird ein Grundprinzip klar, das Josef Settele und seine Kollegen in ihrem 153-seitigen Manuskript erläutern: Je komplizierter ein System ist, umso größer scheint das Risiko, dass sich nicht alle Komponenten synchron den veränderten Temperaturen anpassen. Allein von 1990 bis 2008 verschoben sich in Europa die Bereiche mit der gleichen Temperatur um rund 250 Kilometer nach Norden. In derselben Zeit verlegten die Schmetterlinge ihre Gebiete nur um durchschnittlich 114 Kilometer in die gleiche Richtung – blieben also zurück.

Auch die Landwirtschaft dürfte Probleme bekommen

Projizieren die Forscher solche Zahlen in die Zukunft, erhalten sie erschreckende Befunde: In Europa würden 230 von 294 untersuchten Schmetterlingsarten mehr als die Hälfte ihres Lebensraums verlieren, sollten die Temperaturen bis 2080 um 4,1 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit steigen.

Im günstigsten Fall rechnen Klimaforscher bis dahin mit 2,4 Grad höheren Temperaturen. Aber auch dann wäre immer noch knapp die Hälfte aller Schmetterlingsarten betroffen. Ähnlich sieht die Situation bei anderen Insekten aus. Damit dürfte auch die Landwirtschaft Probleme bekommen, denn viele dieser Insekten bestäuben Nutzpflanzen und bringen so jedes Jahr weltweit eine Wirtschaftsleistung bis zu 300 Milliarden Euro.

Trotzdem wird in den kommenden zwei oder drei Jahrzehnten nicht der Klimawandel das größte Problem für die Natur an Land sein, sondern die hoch technisierte Landwirtschaft. Häufig sind es die Bauern, die Natur und Ökosysteme besonders unter Druck setzen. Dieses Problem würde sich verschärfen, sollte man weltweit zu stark auf die erneuerbare Energie der Biomasse setzen. „Dadurch könnte die biologische Vielfalt so dramatisch schrumpfen, dass wir uns selbst unserer Lebensgrundlagen berauben“, befürchtet Josef Settele.