Fußballplatz statt Caféhaus, Bandenwerbung statt Beethovenfries, Austropop statt Karl-Kraus-Gedichte – mit Kindern erleben Eltern Orte, die sie von früher kennen, noch einmal ganz neu. Das hat unsere Kolumnistin bei einem Wien-Besuch festgestellt.

Familie/Bildung/Soziales: Lisa Welzhofer (wel)

Wenn du jung bist, also so jung, dass dich das Leben noch wie ein liebestoller Verehrer umtänzelt, dann kannst du dir Vieles nicht vorstellen. Dass du dir mal eine gelbe Kehrmaschine kaufen wirst zum Beispiel. Dass du jeden Tag punkt zwölf die Bürokantine („Mahlzeit!“) betreten und mit dem Mann darüber streiten wirst, wer die Klopapierpackung aus dem Keller holt. Dass du mal freiwillig viel Zeit am Rande von Fußballplätzen verbringen wirst. Solche Dinge eben.

 

Also ich so jung war, fuhr ich zum Beispiel mehrere Male nach Wien und tat furchtbar intellektuell. Ich saß rauchend im Café Hawelka und las Karl Kraus. Ich durchkämmte die Albertina und studierte das Beethovenfries von Klimt in der Secession. Und natürlich kaufte ich mir ein billiges Studententicket fürs Burgtheater und litt vier Stunden lang mit Lulu, diesem wilden Mädchens, das erst alle um den Finger wickelt und dann so tief fällt.

Ein einziger Walzertanz

Gut, ein Mal zerdellte ich beim Ausparken mit dem geliehenen Daimler meiner Mutter auch ein anderes Auto und wurde ganz unintellektuell von dessen Besitzer beschimpft. Aber auch das war ja irgendwie aufregend. In meiner wahrscheinlich leicht verklärten Erinnerung waren die Tage in Wien ein bisschen wie ein langer leichtfüßiger Walzertanz.

In diesen Herbstferien war ich das erste Mal nach 20 Jahren wieder in Wien. Und dass es eine ganz andere Zeit wurde als damals, lag nicht nur an meinem nun fortgeschrittenen Alter, sondern am Anlass dieser Reise: Der Sohn (knapp zehn Jahre alt) hatte dort ein E-Jugend-Fußballturnier am Rande der Stadt, der Rest der Familie begleitete ihn.

Bandenwerbung statt Beethovenfries

Statt Hotel im 1. nun also Jugendherberge im 20. Gemeindebezirk. Statt Albertina der Fußballplatz Brigittenau – mit Bandenwerbung statt Beethovenfries und kalter Zuschauertribüne statt Theaterrängen. Und statt Gedichten von Karl Kraus ein Oktoberfest im Vereinsheim mit Austropop-Coverband. Aus Sicht meines 20-jährigen Ichs war ich kulturell also wahrscheinlich ähnlich tief gefallen wie Wedekinds Lulu. Um es gleich zu sagen: Ich fand es großartig!

Mit Kindern erlebt man manche Dinge neu und andere ganz anders. Und manches würde man ohne sie überhaupt nicht erleben. Natürlich wäre ich gern in eine Ausstellung gegangen, hätte mich Zeitung lesend in ein Caféhaus gesetzt, mir einen guten Platz im Theater geleistet. Andererseits werden diese Orte noch auf mich warten, wenn ich wieder Zeit für sie habe. Wien bleibt ja bekanntlich Wien. Aber so ein Jugendturnier in Österreichs Metropole mit Kindern und Eltern aus fünf Ländern – das sieht man wahrscheinlich nur einmal. Oder anders gesagt: Gegen so ein Schauspiel aus dem prallen Leben kann die Burg sowieso einpacken!

Und während ich am Spielfeldrand stand und dem Sohn zusah, wie er die anderen Mannschaften aus Ungarn, Tschechien, der Slowakei und Österreich mit dem Ball umwirbelte. Oder als ich verfolgte, wie er im Prater-Lokal ein bratpfannengroßes Schnitzel verdrückte, da dachte ich: Was sich das Kind wohl alles noch gar nicht vorzustellen vermag und mit welchen Cha-Cha-Cha-Schritten und Pirouetten ihn das Leben noch umtänzeln wird? Wie schön, dass ich ein Stück mittanzen darf.

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Lisa Welzhofer hat zwei Kinder (6 und 9 Jahre alt) und ist jeden Tag baff, wie großzügig die beiden über ihre Fehler als Mutter hinwegsehen.