Vor ein paar Jahren hat sich unser Autor noch eingebildet, er könnte die Interessen seiner Tochter auch in jugendlichem Alter in die Richtung lenken, die er für richtig hält. Inzwischen sieht er das gelassener – auch wenn es manchmal noch schwer fällt.

Lokales: Alexander Ikrat (aik)

Die Sache fängt einfach an. Wenn das Kind zwei, drei Jahre alt ist und man beginnen will, ihm vorzulesen, dann sucht man sich ein Buch aus. Selbst wenn der Nachwuchs beim Einkauf dabei ist, kann man ihn gut beeinflussen. Er kann ja noch nicht lesen und der Fingerzeig auf bunte Einbände mit spannenden Bildern ist schnell gekontert mit dem Hinweis „Das ist für ältere Kinder“. Oder dies reicht: „Ich kenne da was Besseres.“

 

Dieser Vorgang wird, wie so vieles, komplizierter, wenn das Kind größer wird und immer mehr Entscheidungen selber trifft. Plötzlich liegt anstatt „Der kleine Drache Kokosnuss“ so etwas wie „Bayala – Das magische Elfenabenteuer“ zu Hause und der Vater, der diesen Entwicklungen komischerweise immer hinterherhinkt, fragt sich, wie das geschehen konnte.

Die professionellen Buchtipps der Kollegin ziehen noch

Wenn es komplizierter wird, lohnt es sich, dann und wann die Buchtipps für Kinder und Jugendliche aus der Zeitung gelesen zu haben und im richtigen Moment die professionellen Ratschläge der Kollegin zitieren zu können. Die Zeitung als sozusagen höhere Instanz gepaart mit dem richtigen Thema (und dem Geschlecht der Hauptfigur, das das Gleiche sein sollte) kann auch beim Eintritt in die Pubertät noch einen gewissen Einfluss der Eltern auf den richtigen Lesestoff sichern.

Als Vater einer Tochter verliert sich dieser allerdings bald schon erosionsartig, selbst wenn man Germanistik studiert hat und Redakteur bei der Zeitung ist. Die Bücher der 14-Jährigen heißen jetzt „Haunting Adeline“ oder „Scream“ und der Vater kann nichts dagegen tun. Standen die weiblichen Teenies vor ein paar Jahrzehnten noch im Ruf, für lineare Liebesgeschichten zu glühen, in denen sich die gute Heldin in einen letztlich ebenso guten Jungen verliebt, ist das Thema „Romance“, wie das heute neudeutsch heißt, komplexer geworden.

Vom Feind zum Geliebten – am besten in jedem Buch

Meine inzwischen 14-Jährige bevorzugt die Spielart „Dark Romance“, bei der sich die Protagonistin regelmäßig in den Bösewicht verliebt, der in Wirklichkeit gar nicht nur böse ist (aber irgendwie schon auch). Da kann es schon mal passieren, dass Typen die Heldin im Zuge eines Verbrechens erst einmal lebensgefährlich verletzen. Dadurch wird sie aber auf ihn aufmerksam und die Liebesgeschichte kann in Gang kommen. „Enemy to lover“ nennt die Tochter ihre Lieblingserzählweise – vom Feind zum Geliebten.

Klingt abstrus? Findet der Autor auch. Andererseits liest die Tochter bis zu 1000 Seiten pro Woche und fast immer auf Englisch, da sie ihre Buchtipps ausschließlich aus dem sozialen Netzwerk Tik Tok bezieht. Die Bücher sind oft (noch) gar nicht auf Deutsch erhältlich, oder auf Englisch günstiger. Zum vielen Lesen kommt noch der rege Austausch mit Dark-Romance-Fans weltweit dazu, der natürlich auch auf Englisch stattfindet. Manch einer erinnert sich in diesem Zusammenhang daran, dass sie auch glühende Verehrerin von koranischen Filmen (K-Drama) und Musikgruppen ist, die K-Pop produzieren. Die Tochter ist echt gut in Englisch geworden.

Von John Sinclair zu Elfriede Jelinek

Was die Literatur angeht, ist es so, dass der Herr Germanist mit 14, 15 heimlich Horror-Geschichten der John-Sinclair-Reihe verschlungen hat. Seine Abschlussarbeit verfasste er später trotzdem zu den sperrigen Frühwerken der angehenden Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek. Was beweist, dass es auf dem Weg zum Erwachsenen manche Wendung gibt. Und dann gibt es noch die 17-Jährige aus dem Umfeld der Familie, die mit 14 Harry-Potter-Fan war und sich nach Berichten von Augenzeugen derzeit durch Thomas Mann und Franz Kafka arbeitet. Man kann nur gelassen abwarten, wohin die Bildungsreise führt.

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Alexander Ikrat hat auf (fast) alle Herausforderungen in der Zeitungsproduktion eine Antwort. In der Beziehung zu seinen beiden Töchtern ist er allerdings nicht mehr gefragt – dank der Pubertät.