Die aktuelle Kanzlerin verdankt ihre politische Karriere dem CDU-Denkmal Helmut Kohl. Sie trägt mittlerweile auch kohleske Züge, urteilt der Berliner Bürochef der StZ, Armin Käfer. Doch die CDU von heute ist nicht mehr Kohls CDU.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

BerlinAngela Merkel wird sich diese Woche mit Kleinigkeiten aufhalten. Sie stellt am Donnerstag eine neue Sonderbriefmarke vor. In diesem Akt spiegelt sich die neue Wertschätzung, die Helmut Kohl unter Konservativen wiedererlangt hat. Die CDU hat ihn als Ehrenvorsitzenden zwar vor Jahren exkommuniziert. Doch sie feiert jetzt den Jahrestag seiner Kanzlerwerdung wie einen Wahlsieg – und widmet ihm das kleinste aller möglichen Porträts: eine Briefmarke eben. So zwiespältig ist das Verhältnis der Schwarzen zu ihrem Patriarchen. Das gilt insbesondere für Merkel, deren Politkarriere einst als „Kohls Mädchen“ begonnen hat.

 

Die beiden verbindet mehr, als es zunächst den Anschein hat. Zu verschieden sind die Ostdeutsche und der tief in der alten Bundesrepublik verwurzelte Pfälzer; die protestantische Pfarrerstochter und der barocke Katholik, der sich gelegentlich aufführte, als sei der Speyerer Dom eigens für ihn errichtet worden; die Physikerin der Macht und der gefühlsselige Geschichtspolitiker. Beide wurden sträflich unterschätzt. Kohl musste ein langes sozialdemokratisches Jahrzehnt als Herausforderer ausharren, Intrigen der eigenen Leute erdulden, zwischenzeitlich sogar seinem Intimfeind Strauß den Vortritt lassen, bevor er Kanzler wurde. Auch Merkel wurde es nicht auf Anhieb – wiederum erst nach dem Scheitern eines vermeintlich überlegenen CSU-Mannes: in dem Fall Stoiber.

Merkel verdankt Kohl ihre Karriere

Beide waren als Neuerer angetreten – ja, auch Kohl zählte anfangs in der CDU eher zu den progressiven Kräften. Sein Reformeifer hat sich nie so richtig entfaltet, als er Kanzler war. Und Merkels Reformeifer hätte beinahe verhindert, dass sie es überhaupt werden konnte. Beide haben rasch verstanden, dass sie sich nur an der Macht halten würden, wenn sie in der Sozialpolitik konservativ blieben.

Ohne den Einheitskanzler wäre Merkel wohl nie Politikerin geworden. Sie verdankt ihre Karriere Kohls Patronage. Ein regelrechter Putsch gegen den Patriarchen hat diese Karriere dann enorm beschleunigt. Ihr Aufstieg an die Macht begann damit, dass sie Kohl aus dem Weg räumte.

Und was ist aus seinem Erbe geworden? Je länger Deutschlands erste Kanzlerin regiert, desto mehr offenbart sie kohleske Züge. Merkels Amtsgebaren erinnert immer deutlicher an das Denkmal aus der Pfalz: Was bei ihr noch wie demonstrative Selbstgewissheit wirkt, wurde bei ihm letztlich nur noch als Bräsigkeit wahrgenommen. Der Mangel an Gestaltungswillen ihrer aktuellen Koalition gemahnt an die Reformverweigerung zu Kohls Spätzeit, wobei er den eigenen Fehleinschätzungen bei der Wiedervereinigung Tribut zu zollen gehabt hat, sie aber von weitaus günstigeren Vorbedingungen und von der Rendite der Schröder’schen Reformagenda zehrt.

Die CDU heute hat mit der Partei Kohls wenig gemein

Kohl bleibt als Architekt der europäischen Integration im Gedächtnis. Sein Wirken auf diesem Feld wurde von geschichtspolitischer Leidenschaft angetrieben. Merkel verfolgt aus kühlem Pragmatismus und abwägendem Kalkül eine Politik, die den Kontinent wieder auseinandertreiben könnte. Sie hat mit den Spätfolgen der Risiken zu schaffen, die Kohl in Kauf nahm, um ein Projekt zu verwirklichen, das er als historische Mission begriff.

Merkels CDU hat mit der Partei Kohls nur noch wenig gemein. Sie ist liberaler, wenn auch nicht so liberalenfreundlich, aufgeklärter, weniger ideologisch – aber auch beliebiger. Unter Merkels Ägide hat die Union in einem Maße Wähler verloren, wie es selbst zu Kohls schlechtesten Zeiten unvorstellbar war. Doch im Unterschied zu ihm ist sie populär und genießt weit über die Grenzen des eigenen Lagers hinaus Vertrauen. Noch weiß keiner, ob seine Nachfolgerin, die sich nie als Enkelin verstand, auch 16 Jahre an der Macht bleibt. Die Chancen stehen gar nicht schlecht, dass sie zumindest die Halbzeit übersteht.