Deutschland braucht nun ein integrierendes Staatsoberhaupt. Das lässt kaum Raum für Parteipolitik, schreibt StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs.

Chefredaktion: Joachim Dorfs (jd)

Stuttgart - Ein konservativer Politiker, der sich nicht auf Kosten der politischen Klasse profiliert, der bei Gegenwind nicht sofort das Handtuch wirft, der einerseits Erfahrung und Erfolge mitbringt, andererseits aber auch noch kein Rentner sein soll: So ungefähr dürfte das Profil ausgesehen haben, mit dem sich Angela Merkel im Mai 2010 auf die Suche nach einem Nachfolger von Horst Köhler begeben hat. Wäre damals – wäre heute – eine über die Parteigrenzen hinaus anerkannte Persönlichkeit der Bürgergesellschaft vom Schlage eines Joachim Gauck ein besserer Präsident geworden? Nicht notwendigerweise.

 

Christian Wulff ist nicht an den Charakteristika des Stellenprofils gescheitert. Politisch war er kein so schlechter Bundespräsident, als der er bisweilen dargestellt wird. Wulff hat mit der Förderung des Zusammenhalts in der Gesellschaft und der Integration des Islams ein wesentliches Thema gesetzt, er hatte die Idee zu einer Gedenkfeier für die Opfer der Neonazi-Mordserie, er hat Deutschland mit Frau und Patchwork-Familie modern repräsentiert, und er hat im persönlichen Auftritt durchaus überzeugt.

Köhler ist zu früh gegangen, Wulff zu spät

Gefallen ist er über die instinktlose Nähe zu betuchten Freunden, die ihn mit Gunstbeweisen vielfältiger Art hofierten. Christian Wulff hat Vergünstigungen angenommen; Beweise dafür, dass er Gegenleistungen erbracht hat, gibt es nicht. Insofern gilt natürlich auch für ihn die Unschuldsvermutung. Doch niemand braucht einen Präsidenten mit einem gestörten Verhältnis von Nähe und Distanz, gegen den auch noch die Staatsanwaltschaft ermittelt. Horst Köhler hat zu früh und aus noch heute unklaren Gründen sein Amt weggeworfen, Christian Wulff dagegen hat sich zu lange daran geklammert.

Beides schadet nicht nur den ehemaligen Amtsträgern und denen, die sie gewählt haben, sondern auch dem Amt selbst. Der Nachfolger oder die Nachfolgerin Wulffs wird mit einer nicht gekannten Hypothek in Schloss Bellevue einziehen: Er oder sie muss zeigen, dass das Land überhaupt einen Bundespräsidenten braucht.

Kanzlerin Merkel wird bei der Suche nach einem Nachfolger, die wohl nicht erst Freitag begonnen hat und daher möglicherweise auch schnell zu einem Ergebnis kommen kann, zumindest zwei weitere Kriterien berücksichtigen müssen. Zum einen muss der Kandidat eine integre Persönlichkeit mit einem untadeligen Lebensweg sein. Nach der Erfahrung mit Wulff, dessen Probleme aus seiner Zeit in Hannover stammen und daher hätten bekannt sein können, werden Bewerber für hohe politische Ämter künftig wohl wie in den USA sehr viel genauer durchleuchtet, bevor sie auf den Schild gehoben werden.

Dutzende Politiker arbeiten ihr Leben lang untadelig

Das spricht entgegen einem verbreiteten Vorurteil nicht gegen einen Politiker auf diesem Posten. Und es ist keine unüberwindliche Hürde. Schließlich gibt es Dutzende von Politikern, die ein ganzes Berufsleben ihre Ämter untadelig ausfüllen, weil sie über den nötigen Instinkt verfügen und Regeln einhalten, wie sie auch für einen Dorfbürgermeister oder für einen Beschäftigten eines x-beliebigen Unternehmens gelten.

Zum Zweiten wird die Kanzlerin einen über die schwarz-gelben Parteigrenzen hinaus angesehenen Kandidaten präsentieren müssen. Zwar erhebt die Opposition seit Bestehen dieser Republik die Forderung nach einem überparteilichen Kandidaten, während die Regierungen jedweder Couleur sich stets für parteipolitische Lösungen entschieden haben – meist nicht zum Nachteil für dieses Land. Doch die unsicheren Mehrheitsverhältnisse in der Bundesversammlung lassen dieses Mal keine Parteipolitik zu. Und nach der Erfahrung Wulff braucht Deutschland einen Präsidenten, der, von einer breiten Mehrheit getragen, dem Amt seine Würde und seine Ausstrahlung wiedergeben kann.