Der Jammer ist groß. Spielwaren Kurtz schrumpft, Haufler am Markt und Foto Hirrlinger schließen. Doch es hilft nichts, das Ladensterben in der Stuttgarter Innenstadt zu beklagen. Die Kaufleute brauchen neue Konzepte für ihre Geschäfte, kommentiert StZ-Lokalchef Holger Gayer.

Chefredaktion : Holger Gayer (hog)

Stuttgart - Der Jammer ist groß. Spielwaren Kurtz schrumpft, Haufler am Markt schließt, Foto Hirrlinger macht zu; vielen Stuttgartern fährt dieser Dreiklang aus Hiobsbotschaften wie ein Hexenschuss in die Glieder, sie befürchten, dass der inhabergeführte Einzelhandel pulverisiert wird. Und es stimmt ja auch: Manch traditionsreicher Name verschwindet nicht nur aus seinem angestammten Geschäft; sein Abgang reißt auch Lücken in die Herzen alter Kunden. Zahlreiche Geschichten dürften jetzt erzählt werden von Hochzeitsbildern, die man beim Hirrlinger machen ließ, vom ersten Füller, der beim Haufler gekauft wurde, von der Schmusepuppe, die ihren Weg vom Kurtz in die Wiege des Enkels fand. Diese Erzählungen beginnen oft mit den Worten „Weißt Du noch...?“ Sie geben dem Kunden Wärme. Aber dem Kaufmann keinen Cent.

 

Dabei sind die Zahlen nicht schlecht. Allein in Stuttgart stieg der Umsatz des Einzelhandels von 4,05 Milliarden Euro anno 2007 auf 4,28 Milliarden im Jahr 2013. Bundesweit gesehen hat zwar der Online-Handel die besten Zuwachsraten. Von einer Null im Jahr 1990, als das Internet noch kaum laufen konnte, wuchs er auf 39 Milliarden Euro im vorigen Jahr. Aber auch die stationären Geschäfte haben ihre Einnahmen erhöht. Irgendjemand muss also irgendetwas richtig gemacht haben.

Die Mittelklassehändler bleiben auf der Strecke

So abgedroschen es klingt: Am Markt hält sich nur, wer die Wünsche seiner Kunden kennt und auf sich verändernde Rahmenbedingungen reagiert. Dabei sollten sich die Händler nicht auf die Lippenbekenntnisse ihrer Klientel verlassen, sondern nüchtern registrieren, dass viele von denen, die jetzt das Sterben der inhabergeführten Geschäfte beklagen, selbst nicht mehr dort eingekauft haben. Aber die Kunden erinnern sich noch, wie sie einst ihre Langspielplatten bei der Lerche erstanden. Heute gibt es praktisch keine Langspielplatten mehr – und die Lerche auch nicht. Später lieh man sich Filme in der Videothek um die Ecke. Die braucht auch kein Mensch mehr, also sind sie weg. Und Tante Emma? Sie lebt noch, aber meist als Bio-Laden, den Familie Mittelschicht aufsucht, wenn sie den Großeinkauf beim Discounter erledigt hat und noch etwas weltanschaulich korrekt erzeugtes Gemüse braucht.

Was auf der Strecke bleibt, sind die Mittelklassehändler, aber eben auch viele Traditionsgeschäfte, die sich nicht recht entscheiden konnten, wohin sie ihr Geschäft führen wollen: in die Luxusklasse oder an die Basis, die vor allem billig sein muss. Milaneo, Gerber und Breuninger werden vermutlich nebeneinander existieren können, weil sie unterschiedliche Angebote machen. Gleichzeitig entstehen kleine, feine, neue Läden mit Waren, die gar nicht teuer sein müssen, aber besonders.

Die Politik sollte von sich aus eine Debatte anstoßen

Der Großteil der Kunden hat damit nämlich kein Problem: Er lebt locker zwischen den Extremen, kauft Individuelles, wenn er Lust darauf und die Mittel dazu hat, und erledigt die Grundbedürfnisse in den großen Läden – oder gleich im Internet. Man mag das beklagen und auf die Doppelmoral hinweisen, die sich hinter dieser Haltung auch verbirgt. Doch derlei Publikumsbeschimpfung weist nicht in die Zukunft, sondern ist der Anfang vom Ende.

Und die Politik? Sie hat nur eingeschränkte Handlungsmöglichkeiten. Fritz Kuhn und sein Gemeinderat können weder bestimmen, was die Händler anzubieten haben, noch den Verpächtern vorschreiben, wie hoch der Mietzins sein darf, den sie verlangen. Aber sie können eine Debatte anstoßen. Sie können mit Kaufleuten und Kunden darüber diskutieren, wie die Stadt sich in einen noch schöneren Erlebnisraum verwandeln lässt, in dem man sich auch abseits der ausgetretenen Pfade gerne aufhält – und einkauft. Die Sätze, die dabei fallen, sollten eher selten mit den Worten „Weißt Du noch...?“ beginnen. Besser mit dem Anfang einer Idee: „Lass uns doch...!“