Die EU-Kommission bemängelt, dass Deutschland zu viel exportiert. Dabei nützt die deutsche Stärke auch den EU-Partnern, findet StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs.

Chefredaktion: Joachim Dorfs (jd)

Brüssel - Mario Draghi, der Präsident der EZB, hat schon öfter in Deutschland Irritationen ausgelöst. Der unbegrenzte Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB veranlasste die Bundesbank zu wütenden Protesten, die überraschende Zinssenkung letzte Woche verärgert die hiesigen Sparer. Doch diese Woche sprach Draghi den Deutschen aus der Seele: „Den Stärksten zu schwächen stärkt nicht die Schwachen“, kommentierte der Italiener die Pläne der EU-Kommission, den deutschen Überschuss in der Handels- und Leistungsbilanz zu untersuchen und womöglich zu sanktionieren.

 

Schon lange sind die deutschen Exporterfolge den USA, Frankreich oder Institutionen wie dem Internationalen Währungsfonds ein Dorn im Auge. In ihrer Wahrnehmung ist die heimische Politik zu  einem nicht unerheblichen Teil für die  wirtschaftlichen Ungleichgewichte in Europa und der Welt verantwortlich. In ihrer Lesart hat Deutschland keinen Exportüberschuss, sondern ein Importdefizit.

Drei Argumente für die Deutschen

Und doch gibt es drei wesentliche Argumente, die gegen ihre und für die deutsche Sichtweise sprechen. Erstens ist Deutschland der Wachstumsmotor in der sich wirtschaftlich alles andere als dynamisch entwickelnden EU. Die Exporterfolge erzielen deutsche Unternehmen, weil sie Produkte haben, die sie – anders als viele andere Unternehmen in Europa – aufgrund ihrer hart erarbeiteten internationalen Wettbewerbsfähigkeit sehr erfolgreich auch außerhalb der EU anbieten – übrigens trotz eines künstlich billig gehaltenen Dollars. Ohne die deutsche Exportstärke wäre Europa schlechter dran, nicht besser.

Zweitens profitieren auch die EU-Partner vom Erfolg der deutschen Produkte. Bei dem hohen Grad der internationalen Arbeitsteilung stecken in jedem exportierten Gut „made in Germany“ Zulieferungen aus anderen Ländern. Mit anderen Worten: wenn deutsche Firmen weniger exportieren, benötigen sie auch weniger Einfuhren. Es mag zwar zu dem angestrebten wirtschaftlichen Gleichgewicht führen, aber auf einem niedrigeren Niveau für alle. Das kann niemand wollen.

Inlandsnachfrage steigt

Drittens schließlich ist Deutschland gerade dabei, einen Teil der kritisierten Importschwäche abzubauen. Die jüngsten Tarifabschlüsse waren deutlich höher als in den Jahren zuvor, der von der künftigen Regierungskoalition avisierte Mindestlohn wird zu Lohnsteigerungen führen. Beides schafft mehr Inlandsnachfrage. Darüber hinaus ist absehbar, dass Deutschland aufgrund seiner demografischen Schwäche solch hohe Exportniveaus nicht auf alle Zeiten aufrechterhalten kann.

Dass Deutschland nun in Brüssel auf der Anklagebank sitzt, ist also reichlich paradox und lässt sich nur so erklären, dass andere EU-Staaten wie Frankreich und Italien politisch Druck auf die EU-Kommission ausgeübt haben, um von ihrer eigenen Schwäche abzulenken. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Die vertiefte Untersuchung, die Brüssel nun gegen Deutschland eingeleitet hat, wäre ebenso sinnvoll mit Blick darauf, warum es französischen Unternehmen nicht gelingt, mehr Waren nach Deutschland zu exportieren. Jedenfalls wäre es absurd, wenn Deutschland mit Blick auf seine Exportstärke bestraft würde.

Problem Investitionen

An einem Punkt allerdings weist die EU-Kommission in ihrer Analyse zu Recht auf eine Schwierigkeit hin: Bezogen auf das Sozialprodukt sind die Investitionen in Deutschland seit einigen Jahren rückläufig. Hierzulande wird mehr gespart als investiert, weil es für das zur Verfügung stehende Kapital offenbar nicht genug sinnvolle Verwendungen im Land gibt. Daher exportiert Deutschland nicht nur Waren, sondern auch Kapital. Dies freilich ist ein Problem, das die Deutschen ernst nehmen sollten – im eigenen Interesse, denn der Wohlstand von morgen hängt an den Investitionen von heute.