Daimler-Chef Zetsche weist wirtschaftlich eine großartige Bilanz auf – einerseits. Andererseits hat Daimler in seiner Amtszeit Vertrauen verloren. Auf seinen Nachfolger Källenius wartet eine Herkulesaufgabe, meint StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs.

Chefredaktion: Joachim Dorfs (jd)

Stuttgart - Es gibt zwei Möglichkeiten, die Zeit von Dieter Zetsche an der Spitze von Daimler zu bewerten. Die erste ist diese: in der jüngeren Vergangenheit gab es keinen erfolgreicheren Konzernchef als Zetsche. Nach dem Befreiungsschlag, dem Verkauf von Chrysler, setzte das schwäbische Vorzeigeunternehmen unter seiner Führung zu einer Aufholjagd an, holte die enteilten Rivalen Audi und BMW sogar noch vor der avisierten Zeit ein und steht nun mit Spitzenwerten bei Absatz und Ertrag operativ im Branchenvergleich glänzend da. Zudem hat er, anders als sein Vorgänger Jürgen Schrempp, die Wurzeln des Unternehmens auch in Stuttgart und der Region gepflegt.

 

Die zweite sieht anders aus: Unter der Regie von Zetsche hat auch Daimler ähnlich wie andere deutsche Autohersteller im Dieselskandal einen dramatischen Vertrauensverlust erlitten. Die gesetzlichen Abgasvorschriften wurden so weit gedehnt, dass die Staatsanwaltschaft wegen Betrugsverdachts ermittelt – Ergebnis noch völlig offen. Viele Käufer noch gar nicht so alter Diesel haben hingegen bereits eine klare Meinung: Sie fühlen sich angesichts des Wertverlusts ihrer Fahrzeuge und drohender Fahrverbote betrogen. Zudem hinkt Daimler, auch dies gemeinsam mit anderen deutschen Herstellern, bei der Elektrifizierung der Fahrzeugflotte im internationalen Vergleich deutlich hinterher.

Daimler hinkt bei der E-Mobilität hinterher

Beide Sichtweisen haben ihre Berechtigung. Es ist Zetsche gelungen, Daimler wieder an die Spitze der Automobilwirtschaft zu führen. In einer Zeit, in der vermutlich innerhalb von zehn Jahren ähnlich große Veränderungen anstehen wie in den 100 Jahren Automobil zuvor, ist und war das ein gewaltiger Kraftakt. Und doch hinterlässt er seinem designierten Nachfolger Ola Källenius einen ganzen Berg voller Hausaufgaben. Elektrifizierung, Vernetzung, die Weiterentwicklung neuer Geschäftsmodelle wie Carsharing und die Entwicklung (teil-)autonom fahrender Autos werden die Branche in den kommenden Jahren dramatisch umkrempeln und fordern enorme Investitionen. In dieser Phase ist der Vertrauensverlust der Öffentlichkeit durch die Dieselkrise besonders schmerzlich und mehr als nur ein Kratzer im Image, der sich zügig wegpolieren lässt. Die Autokonzerne und ihre Chefs haben in dieser Angelegenheit samt und sonders kein gutes Bild abgegeben, und Dieter Zetsche hat da keine Ausnahme gemacht.

 

Der erste Schritt des Wandels bei Daimler scheint nun gelungen. Wo es in der Vergangenheit schon einmal ein medienwirksames Hauen und Stechen um den Chefposten gab, ist diese Wachablösung geschickt und unaufgeregt eingefädelt worden. Auch die Tatsache, dass Zetsche nicht unmittelbar auf den Posten des Aufsichtsratsvorsitzenden wechselt, sondern eine Abklingphase von zwei Jahren einhält, ist ein Zeichen guter Unternehmensführung und gibt Källenius den erforderlichen Spielraum, andere Akzente als sein Vorgänger zu setzen.

Auf den smarten Schweden Källenius wartet vom kommenden Jahr an eine Herkulesaufgabe. Und doch traut man ihm den Spitzenjob bei Daimler zu. Er weiß als Entwicklungsvorstand um die notwendigen Veränderungen und hat diese vielfach bereits selbst eingeleitet, selbst wenn er in seiner gegenwärtigen Aufgabe eine Mitverantwortung daran trägt, dass die neue Elektrofahrzeugreihe EQ so spät auf den Markt kommt. Was Källenius sehr zugute kommen wird, sind seine Internationalität und sein Auftritt. Während er intern nach allem, was man hört, klar und offen kommuniziert, ist er in der Öffentlichkeit zurückhaltend, sachlich und verbindlich – woran es Zetsche in der Dieselkrise mitunter fehlen ließ. Auf der vor Källenius liegenden Rüttelpiste mit alten Problemen und neuen Herausforderungen kann ihm das sehr helfen.