Am Dienstag ist Heiligabend. Die Weihnachtsgeschichte erzählt von einer Suche nach Asyl. Gut, dass Maria und Joseph nicht heute unterwegs sind. Sie wären in Gefahr, an der EU-Außengrenze zu ertrinken.

Stuttgart - Dienstag ist Heiligabend. Aber es ist besser, die rührende Asylsuche in der Weihnachtsgeschichte nicht so zu lesen, als könnte sie hier und jetzt geschehen. Dann vergeht der ganze Lichterglanz. Wenn Jesus zur Welt gekommen wäre, während seine Eltern am 24. Dezember an der EU-Außengrenze um Einlass kämpfen, dann wären vielleicht zum Schluss alle drei ertrunken. Oder Josef hätte nackt auf einem Hof in Lampedusa gestanden, besprüht mit Desinfektionsmittel aus einem Hochdruckstrahler. Hätten die drei es doch nach Deutschland geschafft, dann wären sie in einem Lager gelandet unter Bedingungen, welche „die Bereitschaft zur Rückkehr in das Heimatland fördern“, wie es in einem Gesetz heißt, oder in Schneeberg mit braven Bürgern vor der Tür, die „Wir sind das Volk“ brüllen und das nicht demokratisch, sondern fremdenfeindlich meinen.

 

Nein, im Hier und Jetzt müssen wir uns am Ende des Jahres 2013 an solche Bilder erinnern – und an die Tragödie vor der italienischen Küste. Das macht uns kurz betroffen, aber das war es dann auch. Das Mittelmeer ist binnen der letzten 20 Jahre zum Grab für mehr als 20 000 Menschen auf der Flucht geworden. Seit vielen Jahren wird erbittert über die Asylpolitik diskutiert. Und hierzulande verfängt Stück für Stück eine fremdenfeindlichen Angstpropaganda, deren Parolen an die Zeit der brennenden Asylbewerberheime vom Anfang der neunziger Jahre erinnern. Die vorige Bundesregierung schürte zuletzt mit der unseligen Wortwahl vom „Strom“ die Angst vor finanzieller Überforderung des Landes durch eine angebliche Einwanderungsflut in die Sozialsysteme. Den Preis zahlen die Schwächsten. Das sind die Flüchtlinge.

Man muss noch nicht einmal über die Idee von der Unteilbarkeit der Menschenrechte diskutieren – die ja alle Staaten der EU formal ernst nehmen. Alle Migrationsexperten sind sich doch einig, dass die vielfach geforderte Abschreckung von Flüchtlingen als Konzept nicht funktioniert, weil Menschen, die um ihr Leben und ihre Existenz fürchten, sich dadurch nicht schrecken lassen. Aber die EU ist nicht bereit, offensiv eine realistische Flüchtlingspolitik zu betreiben – mit der Bereitschaft, mehr Menschen aufzunehmen und legale Wege der Einwanderung zu schaffen, mit einer solidarischeren Verteilung der Ankommenden auf die Länder, mit besserer Entwicklungshilfe. Stattdessen betreibt Europa eine große Politik der Abwehr: Sie folgt in letzter Konsequenz dem Gedanken, dass lieber Flüchtlinge sterben als in großer Zahl ins Land kommen sollen, und je weiter weg sie sterben, desto besser, denn dann sieht man ihnen wenigstens nicht dabei zu.

Deutschland muss aus Flüchtlingen Zuwanderer machen

45 Millionen Menschen sind nach UN-Schätzungen weltweit auf der Flucht, die Hälfte davon Kinder. Mehr als zwei Drittel finden Zuflucht in Staaten der so genannten Dritten Welt. Etwa 0,2 Prozent aller Menschen, die sich derzeit in Deutschland aufhalten, sind Asylsuchende. Selbst innerhalb der EU spielt unser reiches, starkes Land anders als vielfach behauptet keine Vorreiterrolle – auf die Einwohnerzahl gerechnet liegt Deutschland zurück hinter Ländern wie Malta, Schweden, Belgien. Gut, die Zahl der Asylanträge ist gestiegen und wird 100 000 erreichen. Na und? Es gab Jahre, da kamen mehr als vier mal so viele. Natürlich sind unter den Asylsuchenden auch Menschen, die nicht um ihr Leben fürchten, sondern einwandern wollen, weil sie eine Lebensperspektive suchen – einfach, weil sie in ihrer eigentlichen Heimat zum Verlieren verurteilt waren. Aber sie suchen nicht wie im Katalog nach dem Land mit den besten Sozialleistungen.

Deutschland kann mehr Flüchtlinge aufnehmen, wenn es seine Haltung zur Einwanderung ändert. Es sind nicht die Menschen, sondern die Gesetze, die es Flüchtlingen verwehren, zu arbeiten, sich zu integrieren, schlicht zu Zuwanderern zu werden. Und dieses Land braucht sie.