Waren das die Antworten auf die großen amerikanischen Fragen? Die Wähler in den USA haben bei der ersten Präsidentschaftsdebatte zwei Politiker erlebt, die sich im Dickicht einer kleinteiligen Debatte wohler fühlen, als es ihrem Charisma gut tut. Ein Kommentar von StZ-Korrespondent Andreas Geldner.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Denver - Waren das jetzt die großen Antworten auf die großen amerikanischen Fragen? Die Wähler in den USA haben bei der ersten Präsidentschaftsdebatte zwei Politiker erlebt, die sich im Dickicht einer kleinteiligen Debatte über Gesundheitsreform, Defizitabbau und Steuerpolitik wohler fühlen, als es ihrem persönlichen Charisma gut tut.

 

Die Überschrift unter diesen Wahlkampf, wie ihn beide politischen Lager in den USA am liebsten präsentieren, ist ein Kampf der großen Ideologien. Dem staatsverliebten Sozialist im Zerrbild der Republikaner steht der herzlose Kapitalist im Propagandaporträt der Demokraten gegenüber. Doch in einer Debatte, die einerseits relativ sachlich blieb, anderseits die Realität unter einer Flut an fragwürdigen Zahlen und Behauptungen begrub, ging das große Bild am Ende unter.

Aus der Defensive heraus gekommen

Mitt Romney schaffte es mit einem entschlossenen Auftritt aus der Defensive herauszukommen. In letzter Minute vor der Wahl versucht der Republikaner offenbar seine Positionen für die amerikanische Mittelschicht akzeptabler zu machen. Dass er dabei seinen eigenen, bisherigen Steuerplänen widersprach oder beim Thema Gesundheitspolitik in einer atemberaubenden Kehrtwende auf einmal gelobte, die populärsten Elemente von Barack Obamas Gesundheitsreform unangetastet zu lassen, entspricht Romneys in seiner politischen Biografie oft bewiesenen Talent zur ideologischen Flexibilität.

Entscheidend für das Bild dieser Debatte war aber weniger, was er im einzelnen sagte. Viel wichtiger für den Eindruck eines schwachen und schlecht vorbereiten US-Präsidenten war die Tatsache, dass Barack Obama vor Millionen Fernsehzuschauern diese politische Verwandlung unwidersprochen geschehen ließ. Der US-Präsident erinnerte noch nicht einmal an Romneys von vielen Amerikanern als skandalös empfundene Bemerkung über die 47 Prozent der Amerikaner, die seiner Meinung nach staatliche Almosenempfänger sind. Obama wirkte lässig, sein Widersacher entschlossen.

Sympathiewerte gewann Mitt Romney damit vermutlich nicht. Aber angesichts einer sich nur langsam erholenden Wirtschaft ist das auch nicht die Frage, welche die amerikanischen Wähler am meisten umtreibt.

Bringt der Punktsieg die Wende?

Präsidentschaftsdebatten sind ein Theaterstück. Sie werden nicht durch Fakten gewonnen, sondern durch Impressionen. Die Amerikaner wollen in der Krise einen entschlossenen Präsidenten. Und Mitt Romney hat ihnen diese Entschlossenheit besser vorgeführt als der Amtsinhaber im Weißen Haus. Doch wird Romneys Punktsieg reichen, um dem Wahlkampf, der sich in den vergangenen Wochen überraschend deutlich zu Gunsten des US-Präsidenten entwickelt hat, noch einmal eine Wende zu geben?

Zweifel sind angebracht: In der Geschichte der amerikanischen Präsidentschaftsdebatten waren die Rededuelle selten wahlentscheidend. Auch im Jahr 2004 hat der demokratische Herausforderer John Kerry den damaligen, durch den Irakkrieg politisch angeschlagenen Amtsinhaber George W. Bush in der ersten Debatte erfolgreich in die Enge getrieben. Am Wahlausgang hat das nichts geändert. Viele Wähler haben sich bereits festgelegt. Und wenn die Demokraten clever sind, können sie Romneys Etappensieg womöglich sogar in eine Niederlage wenden. Der Republikaner hat sich in der Debatte von so vielen bis in jüngster Zeit hochgehaltenen Positionen distanziert, dass dies Angriffspunkte bietet.

Doch wenn der politische Konter gelingen soll, muss Barack Obama das demonstrieren, was in den vergangenen vier Jahren nicht seine Stärke war. Er muss seine Gelassenheit, die ihm an vielen Stationen seiner politischen Karriere genutzt hat, endlich beiseitelegen und mehr Kampfgeist zeigen. Erst wenn sich das Bild eines in die Defensive gedrängten Präsidenten bei den nächsten beiden Debatten verfestigen würde, wäre Obamas Favoritenrolle, in die er weniger durch eigenes Zutun als durch Fehler seines Gegners geschlüpft ist, ernsthaft gefährdet.