In Japan hat jeder Ort und jede Behörde ein eigenes Maskottchen. Jetzt wurde der wichtigste Wettbewerb, in dem die niedlichen Gestalten gekürt werden, abgeschafft. Es besteht Korruptionsverdacht.

Tokio - Kumamon ist in Japan ein Superstar. Schließlich tritt dieser Bär mit roten Pausbäckchen, schwarzem Fell und immer gespitzten Ohren regelmäßig im Fernsehen auf, hat außerdem gut 800 000 Follower auf Twitter. Auf Produktverpackungen aus seiner südwestlich gelegenen Heimatregion Kumamoto ist der Bär immer wieder zu sehen. Auch ein Manga, also ein japanischer Comic, ist über den niedlichen Bären schon erschienen. Als Kumamoto im vergangenen Jahr von einem verheerenden Erdbeben heimgesucht wurde, war es natürlich ein menschengroßer Kumamon, der medienwirksam in die zerstörten Gebiete eilte.

 

Bemerkenswert an der popkulturellen Beliebtheit dieser Gestalt ist nicht nur, dass sie aus der PR-Abteilung einer Behörde stammt. Für ihre Heimatpräfektur Kumamoto hat dieser klobige Bär auch längst schon eine Botschafterrolle übernommen, die weit ins Ökonomische reicht. Allein im vergangenen Jahr spielten alle möglichen Produkte, die nach öffentlicher Genehmigung Kumamon als Werbefigur nutzten, 159 Milliarden Yen ein (rund 1,28 Milliarden Euro). Auch in den Jahren zuvor hatte sich herausgestellt: Betriebe, die mit dem Image dieses niedlichen Bären werben, haben gute Chancen auf hohe Absatzzahlen.

Ein beliebtes Maskottchen kurbelt den Tourismus an

Seit Kumamon 2011 in ganz Japan berühmt wurde, haben mehrere Maskottchenschöpfer versucht, das Kunststück nachzumachen. Allein die Stadt Kobe soll 42 verschiedene Maskottchen für alle möglichen Zusammenhänge ins Leben gerufen haben. Eine Untersuchung des Spielzeugherstellers Bandai kam zum Ergebnis, dass 84 Prozent aller Menschen in Japan irgendein Produkt besitzen, das auf so ein Maskottchen zurückzuführen ist: ob Spielzeug, Anstecker, Kleidungsstück oder Cornflakes im entsprechenden Design. Auch kann ein beliebtes Maskottchen den Inlandstourismus in eben diese Region ankurbeln.

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Der Spaß mit den Maskottchen folgt in Japan längst einer klaren Geschäftsstruktur. Jedes Jahr im Herbst haben die Veranstalter des Wettbewerbs „Yuru-kyara Grand Prix“ über die vergangenen zehn Jahre in Dörfern, Städten und Präfekturen dazu aufgerufen, die neuesten Maskottchenentwürfe ihrer jeweiligen Institutionen vorzustellen. Die Abstimmung über das lustigste oder niedlichste Maskottchen garantiert dem Sieger große Aufmerksamkeit – und wie Kumamon, dem Sieger von 2011, den Aufstieg zum nationalen Medienphänomen.

Ein Maskottchen wirbt für Toilettendesinfektion

Dabei ist der Wettbewerb über die Jahre so beliebt geworden, dass danach nicht nur die Sieger in der echten Welt überlebt haben. Ein paar Beispiele: In Saitama, einer Stadt am nördlichen Rand von Tokio, soll Fukka-chan, ein niedliches Wesen mit grünen, lauchartigen Stängelohren, die Lauchproduktion aus Saitama bekannter machen. In derselben Stadt düst ein weißer, mit Umhang und Maske ausgerüsteter Superheld namens Shirao Kamen auf einem E-Roller durch die Straßen. Er erinnert Kinder daran und hilft ihnen dabei, den Müll einzusammeln und zu sortieren. Und ein Ninja in Pink mit rundem Kinderkopf und Netzstrumpfhose namens Shinobi-chan steht, zumal diese Figur alles andere als langweilig aussehen soll, für den Berufsstand der Buchhalter in Japan.

Dann ist da noch Benki-Shiroishi, das mit Gitarre auf dem Schoß einen Blues spielende Wesen, dessen Kopf ein Klo ziert. Benki-Shiroishi ist Repräsentant eines Toiletteninfektionsmittels und sieht tatsächlich noch irgendwie niedlich aus.

Veranstalter sollen Stimmen gekauft haben

Nun ist die Maskottchenkultur in jüngster Zeit vielleicht etwas zu groß und ambitioniert geworden. Denn vom „Yuru-kyara Grand Prix“ sind mittlerweile offensichtlich derartige Marketinggewinne zu erwarten, dass sich die Konkurrenzsituation zugespitzt hat – so sehr, dass die Veranstalter in Verruf geraten sind. Sie sollen Stimmen gekauft haben. Wohl deshalb sahen sich die Organisatoren dazu gezwungen, den Wettbewerb nun nicht mehr weiter austragen zu lassen. Ob eine Nachfolgeveranstaltung ins Leben gerufen wird, bleibt abzuwarten.

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Die diesjährige Ausgabe, die vergangene Woche endete, hat dafür eine besonders brave Figur gewonnen: eine pfadfinderartige, weiße Gestalt mit gelbem Sternchen auf dem Kopf und Umhängetasche über der Schulter namens Takata-no-yumechan. Die Figur aus der nordostjapanischen Stadt Rikuzentakata, die im Jahr 2011 durch die Katastrophe aus Erdbeben und Tsunami stark beschädigt wurde, strahlt laut Angaben ihrer Schöpfer mit dem Licht der Hoffnung und hat das Bedürfnis, alle Kinder zu schützen. Bestimmt hofft Takata-no-yumechan auch, der geschädigten Lokalwirtschaft wieder auf die Beine zu helfen. Und womöglich auch, dass es gar keine Neuauflage des Wettbewerbs mehr geben wird. Das würde diese Figur umso legendärer machen.