Mit einem Teleskop am Südpol will ein Forscherteam erstmals Gravitationswellen entdeckt haben, die beim Urknall entstanden sind. Das wäre nobelpreisverdächtig, größer geht es in der Kosmologie nicht. Doch die Fachkollegen halten das für voreilig.

Stuttgart - Der US-amerikanische Physiker Alan Guth ist bekannt dafür, dass er den Knall in die Theorie des Urknalls gebracht hat. Vor rund 30 Jahren zeigte er, dass sich viele physikalische Probleme lösen lassen, wenn man davon ausgeht, dass sich das Universum in den ersten Sekundenbruchteilen seiner Existenz explosionsartig ausgedehnt hat. Nach einigen Quintilliardstelsekunden hatte es schon die Größe einer Grapefruit, sagen Physiker, wenn es ihnen darauf ankommt, für Laien anschaulich zu formulieren. Und sie weisen dann darauf hin, dass das Universum damit schon nach kurzer Zeit um fast das Quadrilliardenfache gewachsen sei. Selbst die Lichtgeschwindigkeit ist winzig im Vergleich zu dieser Expansion.

 

Unter diesen dramatischen Umständen müsste die Raumzeit in Schwingung versetzt worden sein. Physiker sprechen von Gravitationswellen, die seit dem Urknall durch das Universum rasen und von denen man nichts spüren würde, wenn sie durch einen hindurchgingen. Um sie zu messen, braucht man im Prinzip zwei Laserstrahlen, die in verschiedene Richtungen geschickt und nach einer festgelegten Strecke von einem Spiegel zurückgeworfen werden. Sollte eine Gravitationswelle währenddessen durch die Versuchsapparatur sausen, würde der eine Laserstrahl einen Moment früher oder später zurückkehren als der andere, weil die Gravitationswelle seine Laufstrecke vorübergehend verkürzt oder verlängert hätte.

Der Effekt ist winzig: Die Strecke für den Laserstrahl ändert sich nur um einige Trillionstelmeter. Es gibt aber sensible Messgeräte, die das bereits erkennen können. Eines mit dem Namen Geo600 ist unter einem Acker in der Nähe von Hannover vergraben. Wenn ein Traktor über das Feld fährt, verändert sich die Strecke für die Laserstrahlen mehr als bei einer Gravitationswelle. Die Aufgabe der Physiker besteht darin, die Hinweise auf Gravitationswellen aus dem Wust anderer Daten herauszufiltern. Bisher haben sie noch keine klaren Hinweise auf Gravitationswellen entdeckt.

Größer geht es in der Kosmologie nicht

Dieses Kunststück reklamiert nun jedoch ein Forscherteam der Harvard University für sich. Die Physiker um John Kovac betreiben ein Teleskop mit dem Namen BICEP2, das direkt am Südpol steht und den Himmel nach der kosmischen Hintergrundstrahlung durchmustert, die aus allen Richtungen auf die Erde einfällt. In dieser Strahlung wollen die Physiker gewissermaßen die Signatur der Gravitationswellen des Urknalls entdeckt haben. Wenn sie recht haben, wäre das eine Bestätigung der Urknalltheorie von Alan Guth – und die Antwort auf die physikalischen Fragen, für die er seine Theorie entwickelt hat. Eine Entdeckung dieser Art wäre nobelpreisverdächtig. Auch ein indirekter Nachweis der Gravitationswellen und die präzise Vermessung der kosmischen Hintergrundstrahlungen sind schon mit Nobelpreisen ausgezeichnet worden. Größer gehe es nicht, lautet ein häufiger Kommentar.

Doch von allen Seiten prasselt Kritik auf das Forscherteam ein. „Wissenschaftler sollten sich sehr gut überlegen, wann und wie sie mit einem Thema an die Öffentlichkeit gehen“, sagt zum Beispiel der Physiker Georg Wolschin von der Universität Heidelberg. „Bei BICEP2 war das eindeutig zu früh.“ Er kritisiert, dass John Kovac und seine Kollegen schon im März zu einer Pressekonferenz einluden, obwohl ihre Ergebnisse damals noch nicht begutachtet und in einem Fachjournal publiziert worden waren. Das haben die Physiker erst jetzt nachgeholt: Ihre Ergebnisse sind – nach einer Prüfung durch zwei anonyme Gutachter – im Fachjournal „Physical Review Letters“ erschienen.

Nach Georg Wolschins Eindruck fällt die Fachveröffentlichung deutlich kritischer aus als die ursprüngliche Präsentation der Ergebnisse. Sie könnten nicht ausschließen, schreiben John Kovac und seine Kollegen, dass die Signatur in der Hintergrundstrahlung von galaktischem Staub hervorgerufen wurde statt von Gravitationswellen. In verschiedenen Interviews sagen die Mitglieder des Forscherteams jedoch, dass sie weiterhin großes Vertrauen in ihre Messungen hätten.

Anfangs waren die Kollegen noch euphorisch

Viele Fachkollegen haben die erste Nachricht des BICEP2-Teams begeistert kommentiert. Alan Guth sagte, dass er hin und weg sei – zeigte sich aber reservierter, als im Mai die ersten kritischen Stimmen laut wurden. Und der bekannte Physiker Lawrence Krauss sprach im März von einer neuen Ära der Kosmologie: Wenn man die Gravitationswellen messen könne, verfüge man über ein Instrument, um den Urknall genauer zu untersuchen. Von dieser Euphorie lässt Lawrence Krauss in einem aktuellen Kommentar nur noch wenig spüren: Die Frage, ob tatsächlich die Signatur von Gravitationswellen entdeckt worden sei, schreibt er, müsse geklärt werden, wenn die Daten des Satelliten Planck ausgewertet seien.

Planck war ein Weltraumteleskop, das auf die schwache kosmische Hintergrundstrahlung spezialisiert war. Etwa vier Jahre lang hat es Daten gesammelt und zur Erde gefunkt; Ende vergangenen Jahres wurde es abgeschaltet. Vor einem Jahr veröffentlichten die Planck-Forscher bereits eine präzise Karte der Hintergrundstrahlung: ein ovales Bild des gesamten Universums, in dem kleine Schwankungen in der Temperatur der Strahlung in warmen und kühlen Farben dargestellt werden (siehe Bildergalerie oben).

Diese Strahlung ist 13,8 Milliarden Jahre alt und stammt aus einer Zeit nur 380.000 Jahre nach dem Urknall. In den ersten 380.000 Jahren war das Universum von einer heißen, dichten Gaswolke erfüllt, in der jede Strahlung sofort von einem Teilchen absorbiert wurde. Erst nach 380.000 Jahren hatte sich diese Wolke so weit abgekühlt, dass die Atomkerne die umherfliegenden Elektronen einfingen und so die ersten Atome bildeten: Wasserstoff, Helium und etwas Lithium. Zwischen den Atomen war nun genug Platz für die Strahlung – und sie breitet sich seitdem aus. In der Zwischenzeit hat sie sich gewissermaßen verdünnt, ist aber noch zu messen (siehe Infografik zur Entwicklung des Universums). Sie trägt übrigens zu dem Schnee bei, den man bei einem schlecht eingestellten Fernseher sieht.

Auch galaktischer Staub könnte die Messungen erklären

Weiter in die Vergangenheit kann man nicht blicken als auf diese Hintergrundstrahlung, denn alles, was vorher war, ist in einer leuchtenden, undurchsichtigen Gaswolke verborgen. Die Gravitationswellen könnten einen Einblick in die ersten 380.000 Jahre des Universums geben: Sie müssten der Hintergrundstrahlung ihren Stempel aufgedrückt haben, indem sie die Schwingungsrichtung der Strahlung veränderten. Diese sogenannte Polarisation will das BICEP2-Team gemessen haben.

Doch nach dem anfänglichen Jubel haben sich mehrere Physiker mit kritischen Beiträgen gemeldet. Raphael Flauger von der New York University ist einer der schärfsten Kritiker: Seiner Ansicht nach lässt sich im Moment noch gar nicht sagen, ob die Polarisation der Hintergrundstrahlung wirklich auf Gravitationswellen zurückzuführen ist. Als Alternative kommt Staub in Betracht, der die Strahlung ebenfalls hätte verändern können. Die Daten des Satelliten Planck werden verraten, wo der Staub in der Galaxie zu finden ist. Dann kann man diesen Anteil an den entsprechenden Stellen herausrechnen und danach prüfen, ob die Hinweise noch ausreichen, um von Gravitationswellen zu sprechen. Die Planck-Daten sind für Oktober angekündigt, erst dann lässt sich der fachliche Streit entscheiden.

In der Zwischenzeit diskutieren Physiker auch darüber, wie man solche umstrittenen Ergebnisse am besten diskutiert. Georg Wolschin von der Universität Heidelberg findet, dass man sie nicht im Magazin der „Physical Review Letters“ hätte veröffentlichen sollen, sondern in einem weniger prominenten Journal. Für die „Physical Review Letters“ gibt es eigentlich strenge Regeln, die garantieren sollen, dass sich Fachleute dort kurz und bündig über solide Erkenntnisse informieren können. Die Herausgeber begründen in einem Editorial, warum sie in diesem Fall davon abgewichen sind: wegen der potenziellen einmaligen Bedeutung der Arbeit.