Viele in der CDU wissen oder mögen nicht, wofür ihre Partei aktuell steht. Ein neues Programm soll das ändern. Was darin stehen soll, eruiert Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer derzeit. Eindrücke vom „Zuhör“-Auftakt im Südwesten.

Berlin - Die neue CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer ist auf „Zuhör“-Tour. Angefangen in Baden-Württemberg soll sie im Auftrag ihrer Partei der Stimmung im Land nachspüren und herausfinden, was die Anhänger und Mitglieder bedrückt. Ihre erste Station am Wochenende war Konstanz, wo sich gleich eine Menge Anhaltspunkte dafür fand, warum die Unzufriedenheit auch in der Hochkonjunktur Konjunktur hat.

 

Im historischen Zollhaus Konzil direkt an der Uferpromenade haben sich gut 200 CDU-Anhänger versammelt. Konstanz bildet den Auftakt, weil der Kreisverband nach der Bundestagswahl als erster die Notwendigkeit formuliert hatte, den Orientierungsproblemen der Partei mit einem neuen Programm und innerparteilichen Diskussionen zu begegnen. „AKK“, wie die CDU ihre neue Hoffnungsträgerin nennt, sorgt für einen intimen Rahmen. Die Saarländerin macht sich immer wieder Notizen zu Publikumsbeiträgen, hakt nach oder holt im Saal ein Meinungsbild ein.

Die Mitglieder haben die Chance, den Kropf zu leeren

Eine Mutter von vier Kindern namens Stefanie meldet sich. „Ich verdiene nicht schlecht, habe einen guten Beruf, kann in Urlaub gehen und den Musikunterricht für die Kinder bezahlen“, sagt sie: „Aber es bleibt einfach nichts übrig.“ Die Frau erwartet gerade von ihrer CDU, für mehr Netto vom Brutto zu sorgen. Eine Entlastung von Abgaben und Steuern für die arbeitende Mitte der Gesellschaft – die Forderung wird mit lautem Beifall bedacht. Zustimmung erntet auch ein Firmengründer aus der IT-Branche, der sich mit seiner Frau gerade zur Familiengründung entschlossen hat. Ihn ärgert, dass ihn dieser Entschluss quasi aus seiner Heimatstadt zwinge – weil er sich in Konstanz kein größeres Familienheim leisten kann. Die Mitglieder haben die Chance, den Kropf zu leeren. Und das passiert auch, zum Beispiel, beim Thema Islam. Eine Singenerin berichtet von einem Erlebnis im Supermarkt kurz nach der Wahl in der Türkei, als ihr eine Muslimin mit Kopftuch gedroht habe, sie solle sich in Acht nehmen: „Das ist manchmal derart provokativ, dass ich mich zurückgesetzt fühle als Frau in Deutschland.“ Ein Rentner aus derselben Stadt erregt sich darüber, „welch großen Einfluss der Islam heute schon in Deutschland hat“: „Die Religion der Unfreiheit sollte sich nicht auf unsere Religionsfreiheit berufen.“ Der 80-Jährige findet gut, dass die CSU in Bayern Kreuze in allen Behörden vorschreibt, und ärgert sich über die Kritik daran aus seiner CDU. Ans Austreten oder gar die Wahl der AfD denke er aber nicht.

Kramp-Karrenbauer mag keine plakativen Ansagen

Annegret Kramp-Karrenbauer ist in solchen Momenten klar anzumerken, dass sie mit plakativen Ansagen nicht viel anfangen kann. Sie widerspricht nicht, fragt aber bei dem Redner nach, welche Konsequenzen er für die 4,2 Millionen Muslime in Deutschland sieht. Wer sich an Recht und Gesetz hält, soll dazugehören dürfen, meint der Mann – da ist man sich doch wieder irgendwie einig. Die Katholikin kann wenig mit pauschalen Slogans zum Islam anfangen. Sie hat es gerne konkret. Der Staat müsse etwa sicherstellen, dass alle Kinder schwimmen lernen, sagt sie. Unabhängig von der Religionszugehörigkeit. Dafür erntet Kramp-Karrenbauer genauso viel Applaus wie der Einwurf eines Wirts, der sich beklagt, dass Asylbewerber, die in seinem Lokal arbeiten und inzwischen gut Deutsch sprechen, jetzt von Abschiebung bedroht sind: „Ohne sie funktioniert die Gastronomie bei uns am Bodensee gar nicht mehr.“

Am nächsten Vormittag wird in Horb am Neckar zugehört. Diesmal unter dem Scheunendach eines Aussiedlerhofes. Die Landwirte Michael und Sabine Keßler, in der örtlichen CDU engagiert, haben Wurst- und Käsewecken und allerlei Getränke bereitgestellt. Die drei großen Buchstaben des Parteinamens stehen vor einem Traktor. Aber was soll eigentlich die CDU-Agrarpolitik der Zukunft sein, die in Horb im Zentrum der Diskussion steht? Zwei Parteimitglieder reden über das Bienensterben und verlangen, den Kampf für eine intakte Umwelt als Lebensgrundlage bäuerlicher Betriebe nicht den Grünen zu überlassen. Gerhard Fassnacht, der Chef des Kreisbauernverbandes, fordert dagegen von seiner Partei, „dass wir uns nicht vor den Grünen hertreiben lassen“. Selbst CDU-Politiker vermittelten manchmal den Eindruck, „als ob die Natur vor den Landwirten geschützt werden muss“.

Ein Junge bringt das Versagen der Verkehrspolitik auf den Punkt

Es geht um schnelles Internet für die ländlichen Räume, auch um Altersarmut und den Pflegenotstand. Kramp-Karrenbauer räumt immerhin ein, dass die 8000 im Koalitionsvertrag zusätzlich zugesagten Stellen nicht mehr seien als ein Tropfen auf den heißen Stein. Und schließlich bringt noch ein Neunjähriger, dessen Vater täglich die 60 Kilometer nach Stuttgart pendelt und dafür schon mal eineinhalb Stunden oder länger benötigt, das Versagen der Verkehrspolitik auf den Punkt: „Wir bräuchten bessere Verbindungen, damit Papa nicht so spät heimkommt und wir ihn öfter sehen.“

Durch den notorischen Stau auf der A 81 muss auch Kramp-Karrenbauer. Die dritte Station ist Böblingen. In der Legendenhalle am alten Flugfeld ist auch CDU-Landeschef Thomas Strobl mit von der Partie. Er hört, wie eine Mehrheit im Raum für mehr deutsche Verantwortung in der Welt plädiert, auch militärisch, im Rahmen der Europäischen Union. Die Wohnungsnot aber dominiert hier die Debatte. Nicht wie die SPD auf den sozialen Wohnungsbau wollen die anwesenden Christdemokraten setzen, sondern auf privates Kapital, das von unnötigen Bauauflagen befreit werden soll, damit schneller und günstiger gebaut werden kann. Zu viel Bürokratie, zu viel Regulierung von oben. „Ich bin einmal in die CDU eingetreten“, sagt ein Mitglied, „weil mir das Motto ,Privat statt Staat‘ gefällt.“ Man hört noch die Worte der Frau aus Horb nachhallen, die gefordert hat, dass „wir das Soziale nicht der SPD überlassen dürfen“. Es zerren eben die unterschiedlichsten Kräfte an der Volkspartei CDU. Und so hat die Generalsekretärin sicherlich ein lehrreiches Wochenende hinter sich. Leichter ist ihre Aufgabe aber dadurch nicht unbedingt geworden.