An den Gymnasien in Ludwigsburg und Marbach sind die Kapazitäten erschöpft. Außerdem, sagt ein Rektor, bereiten einzelne ukrainische Kinder Kopfzerbrechen.

Der russische Angriffskrieg hat einen Massenexodus in der Ukraine ausgelöst, dessen Folgen auch in der hiesigen Schullandschaft immer gravierender spürbar sind. „In Ludwigsburg sind wir in den weiterführenden Schulen rappelvoll. Nur in den Grundschulen ist teilweise noch etwas Luft“, sagt Mathias Hilbert, Geschäftsführender Schulleiter der Gymnasien in der Barockstadt. Ähnlich das Bild in Marbach. Die Kapazitäten in der Vorbereitungsklasse (VKL), in der Mädchen und Jungs vor allem sprachlich für die Teilnahme am Regelunterricht fit gemacht werden sollen, seien ausgeschöpft, erklärt Volker Müller, Chef des Friedrich-Schiller-Gymnasiums (FSG), der „eine massive Aufstockung der Ressourcen“ für dringend notwendig erachtet.

 

Traumatische Erlebnisse wirken sich aus

Müller rät, den Bogen nicht zu überspannen, um wie bisher auf die Bedürfnisse der einzelnen Schüler eingehen und den Geflüchteten aus der Ukraine und anderen Ländern eine längerfristige Perspektive bieten zu können. Man nehme zwar grundsätzlich eine hohe Motivation und Lernbereitschaft bei den Kindern wahr, „allerdings wirken sich traumatische Erlebnisse aus den Kriegsgebieten sowie Fluchterfahrungen zwangsläufig auf die Aufnahmefähigkeit und Beteiligung im Unterricht aus“.

In einigen wenigen Fällen, daraus macht sein Ludwigsburger Kollege Hilbert keinen Hehl, gehe die Mitwirkungsbereitschaft aber auch gegen null. „Es gibt Schüler, speziell aus der Ukraine, die sich weigern, Deutsch zu lernen“, sagt der Leiter des Otto-Hahn-Gymnasiums (OHG), wo im Zusammenspiel mit der direkt angrenzenden Gottlieb-Daimler-Realschule eine Vorbereitungsklasse eingerichtet wurde, die aktuell 28 Mädchen und Jungs besuchen – obwohl der Klassenteiler bei dieser Unterrichtsform offiziell bei 24 liegt. „Die stören, verlassen einfach den Unterricht. Das ist bitter, weil sie anderen Kindern einen Platz wegnehmen“, erklärt Mathias Hilbert.

Wartezeiten in Einzelfällen

Dieses Problemfeld alleine ließe sich vielleicht noch beherrschen. Doch Lehrermangel und die Corona-Nachwehen seien weitere Umstände, mit denen man sich auseinandersetzen müsse. „Die Zahl von Schülerinnen und Schülern mit psychischen Problemen ist mit Corona deutlich angestiegen, wie auch die Schulpsychologischen Beratungsstellen belegen können“, sagt der Leiter des OHG. Er gibt zudem zu bedenken, dass derzeit nicht nur Kinder aus der Ukraine in den Schulalltag integriert werden müssten, sondern zunehmend auch Iraker, Afghanen, Syrer und neuerdings Kurden. „Wir kommen an unsere Grenzen, brauchen frische Ressourcen“, bestätigt Hilbert seinen Kollegen vom FSG, Volker Müller.

Es stehe außer Frage, dass es ein Kraftakt sei, all die Kinder zu unterrichten, erklärt Fabian Schmidt, Pressesprecher im Kultusministerium. Er hebt aber auch hervor, dass die Zahl der VKL sowie der VABO-Klassen, dem Pendant an den beruflichen Schulen, seit Anfang März kontinuierlich gestiegen sei. „Stand 16. Januar sind in Baden-Württemberg mehr als 850 VKL und mehr als 270 VABO-Klassen neu eingerichtet worden. Die Tendenz ist weiter steigend“, berichtet er. Aufgrund der großen Anzahl an geflüchteten Heranwachsenden könne es gleichwohl in Einzelfällen zu kurzen Wartezeiten kommen, bis der Schulbesuch startet.

Kultusministerium verweist auf Unterstützungsmaßnahmen

Beim Kultusministerium ist man auch davon überzeugt, dass die Integration der Geflüchteten an den Schulen grundsätzlich funktioniere. „Wir haben ein breites Angebot an Fördermaßnahmen – etwa Sprachförderung – sowie Fortbildungen für Lehrkräfte, damit wir sowohl die Zugewanderten als auch unsere Lehrkräfte und Schulen bei der Integration unterstützen“, betont Schmidt. Zudem sei eine Online-Plattform freigeschaltet worden, bei der sich Personen melden können, „die Interesse an der Beschulung Geflüchteter haben“.

„Für die Tätigkeit in Vorbereitungsklassen konnten bislang 40 Personen zusätzlich eingestellt werden“, ergänzt Sabine Conrad, Leiterin des Staatlichen Schulamts in Ludwigsburg. Da aber in den zurückliegenden Monaten sehr viele Kinder aufgenommen hätten werden müssen, „war es nicht immer möglich, sie in einer VKL unterzubringen“. Teilweise seien sie daher direkt in einer Regelklasse integriert worden. Fakt sei auch, dass in den einzelnen Kommunen unterschiedlich viele Geflüchtete eingetroffen seien, ergo eine gewisse Schieflage bei der Verteilung auf die Schulen entstehen könne. Deshalb habe man eine festes Handlungsschema entwickelt: „Wenn die Kapazitäten an der eigenen Schule nicht ausreichen, gehen die Schulleitungen auf Nachbarschulen beziehungsweise auf geschäftsführende Schulleitungen zu“, erläutert Conrad.

Viele Schüler fahren zweigleisig

Dass einige Kinder aus der Ukraine länger brauchen, um sich auf den deutschen Schulalltag einzulassen, erklärt Conrad mit den besonderen Umständen. Bei vielen sei die Hoffnung groß, in ihre Heimat zurückkehren zu können. Die Familien hätten überdies „meist engen Kontakt zu den häufig noch dort lebenden Vätern, zudem besuchen viele Schülerinnen und Schüler zusätzlich zur deutschen Schule den ukrainischen Online-Unterricht“.

Tausende Kinder neu im Unterricht

Verteilung
An den Schulen in Baden-Württemberg werden derzeit rund 28 500 Kinder und Jugendliche aus der Ukraine unterrichtet. 23 670 besuchen eine öffentliche allgemeinbildende Schule, 37,6 Prozent davon gehen alleinig in eine Vorbereitungsklasse (VKL), 43,5 Prozent in eine VKL und eine Regelklasse sowie 18,9 Prozent ausschließlich in Regelklassen. 3100 Heranwachsende sind an einer öffentlichen beruflichen Schule – von denen bis auf 3,9 Prozent alle in Aufbauklassen unterrichtet werden. Knapp 1700 Schüler habe sich für eine freie Schule entschieden.

Anmeldung
An den Gymnasien im Landkreis Ludwigsburg waren Stand Mitte Januar 172 Kinder aus der Ukraine angemeldet. An den anderen Schulen im Schulamtsbezirk – ausgenommen Berufsschulen – waren 1048 Heranwachsende registriert, die aus dem osteuropäischen Land geflohen sind. Davon besuchen 489 eine VKL, 181 sind in eine Regelklasse integriert, die restlichen 378 Schüler wechseln zwischen den beiden Formen.