Insgesamt sinkt die Zahl der Straftaten in Baden-Württemberg – unter den Zuwanderern steigt sie aber noch. Ein großes Problem sind die Intensivtäter. Mit einem neuen Konzept will die Polizei sie besser in den Griff bekommen.
Stuttgart - Trotz der starken Zuwanderung im Jahr 2016 ist die absolute Zahl an Straftaten in Baden-Württemberg leicht zurückgegangen – das ist eine der guten Botschaften der Polizei; vor wenigen Tagen hat sie ihre Kriminalstatistik für das abgelaufene Jahr vorgestellt. Auch bundesweit steht das Land ausgezeichnet da, wie man an der sogenannten Häufigkeitszahl ablesen kann; sie markiert die Zahl der Straftaten pro 100 000 Einwohner. Nirgendwo lag der Wert niedriger; in Baden-Württemberg stand er zuletzt bei 5390, in Rheinland-Pfalz bei 6222, in Hessen bei 6616 (jeweils ohne ausländerrechtliche Verstöße). Auch über die letzten 30 Jahre gesehen ist der aktuelle Wert für das Land keineswegs ein Ausreißer nach oben; zum Beispiel 1993 und 2004 lagen die Zahlen deutlich höher.
Dennoch gibt es auch eine nicht so positive Seite. Die Zahl der straffälligen Flüchtlinge hat sich 2016 stark erhöht, von 18 695 Tatverdächtigen 2015 auf zuletzt 25 379 (auch hier ohne ausländerrechtliche Verstöße; dabei handelt es sich vor allem um den illegalen Grenzübertritt). Das ist ein Plus von 35,8 Prozent. Das hängt natürlich zum großen Teil mit der stark gestiegenen Zuwanderung Ende 2015 und Anfang 2016 zusammen. Aber es ist schon auffällig, dass knapp zehn Prozent aller Straftaten in Baden-Württemberg im vorigen Jahr durch Flüchtlinge begangen worden sind, obwohl ihr Anteil an der Bevölkerung – rechnet man die kurze Zeit hier verweilenden Flüchtlinge mit – nur bei etwa 2,2 Prozent liegt. Das beruht ganz stark auf der hohen Zahl junger Männer, die unabhängig von der Nationalität eher auffällig werden als Frauen oder ältere Menschen. In Bayern, wo solche Zahlen ausgewiesen wurden, waren 78 Prozent der tatverdächtigen Flüchtlinge jünger als 30 Jahre; 87 Prozent von ihnen waren männlich.
Es gilt aber auch: Nur etwa jeder zehnte Flüchtling kam mit dem Gesetz in Konflikt, 90 Prozent nicht. Carsten Dehner, der Sprecher des Innenministeriums, betont zudem: „Kriminalität im Kontext der Zuwanderung ist maßgeblich durch Delikte sogenannter Armutskriminalität geprägt.“ Ladendiebstahl, Schwarzfahren und Körperverletzung machen zusammen drei Viertel der Straftaten bei Zuwanderern aus.
Problematisch sind wenige Gruppen junger Männer
Insgesamt 7826 Flüchtlinge sind im vorigen Jahr in Baden-Württemberg mehr als einmal mit dem Gesetz in Konflikt gekommen (30,8 Prozent der straffällig gewordenen Flüchtlinge); 472 Menschen wurden mehr als zehnmal von der Polizei registriert. Besonders problematisch sind kleine Gruppen junger Männer, die anscheinend unbelehrbar sind. Zuletzt haben marokkanische Staatsangehörige die Polizei in Sigmaringen in Atem gehalten mit Gewaltdelikten, Diebstahl und Alkoholexzessen. „Es ist eine ganz kleine Minderheit, die alles aufmischt“, hat der Sigmaringer Bürgermeister Thomas Schärer gesagt. Im Rauschgifthandel fielen zuletzt viele Gambier auf. Carsten Dehner sagt: „Diese Mehrfachtäter haben eine erhebliche Auswirkung zumindest auf die gefühlte Sicherheit – ohne sie wäre die Kriminalität qualitativ nicht so dramatisch.“
Tatsächlich fragen sich viele Bürger, warum die Polizei diesen Auswüchsen nicht Herr werden kann. Oft seien die Delikte so gering, dass eine Inhaftierung nicht infrage komme, heißt es. Und vor einer Abschiebung liegen viele Hürden, zuallererst jene, dass oft die Staatsangehörigkeit nicht zweifelsfrei feststeht. Seit dem vergangenen Jahr wird aber in den meisten Polizeipräsidien in Baden-Württemberg ein neuer Ansatz verfolgt. Es werden Ermittlungsgruppen eingerichtet, die laut dem Innenministerium „zielgerichtet ermitteln und frühzeitig aufenthaltsbeendende Maßnahmen angehen“. Seither hätten so 120 Haftbefehle erlassen werden können. Wie viele Personen ausgewiesen wurden, kann aber niemand sagen. Überhaupt erhält man wenig klare Antworten darauf, wie dieses Problem gelöst werden könnte; jede Behörde verweist auf eine andere.
Alle Behörden arbeiten in Hessen eng zusammen
In Hessen geht man einen etwas anderen Weg. Dort gibt es seit Juli 2016 ein Programm, bei dem Polizei, Staatsanwaltschaften und Ausländerbehörden besser zusammenarbeiten und ihre Informationen austauschen sollen. Es geht aber nicht nur um Flüchtlinge, sondern insgesamt um ausländische Intensivtäter. Die Zahlen gäben dem Konzept recht, sagte der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) dieser Tage: 2016 seien rund 100 Intensivtäter ausgewiesen worden – das sei fast die doppelte Zahl von 2015. Rund 250 auffällige Straftäter stünden weiterhin im Fokus der Ermittler.
Die enge Zusammenarbeit aller Behörden halten Insider für zentral. Denn nur wenn alle Informationen vorliegen, könne schnell und konsequent gehandelt werden. Ansprechpartner für die Polizei gebe es in diesen Fällen auch in der Staatsanwaltschaft Stuttgart, sagt Pressestaatsanwalt Jan Holzner. Bisher fehlen aber ausreichende Daten über diese Täter – so gehen die Fälle in der Staatsanwaltschaft Stuttgart ihren ganz normalen Verfahrensweg; eine Statistik wird nicht geführt. Verwirklicht ist ein ganzheitliches Konzept – ganz unabhängig von der Flüchtlingsfrage – allerdings bereits bei jugendlichen Straftätern im Haus des Jugendrechts, wo Amtsgericht, Polizei, Jugendamt und Staatsanwaltschaft für den Großraum Stuttgart kooperieren. Holzner: „Es ist derzeit dort kein einziger jugendlicher Flüchtling als Intensivtäter registriert.“
Der Anstieg der Flüchtlingskriminalität wird in den Bundesländern übrigens unterschiedlich bewertet, was auch mit der Couleur der Regierung zusammenhängen dürfte. So gehört das von der CSU regierte Bayern zu den wenigen Ländern, in denen die absolute Zahl der Straftaten gestiegen ist, sogar deutlich um 3,3 Prozent. Die bayerische Kriminalstatistik formuliert deshalb ganz klar: „Der Anstieg der Kriminalität in Bayern im Jahr 2016 ist im Ergebnis ganz überwiegend ausländischen Tatverdächtigen, darunter insbesondere Zuwanderer, zuzuschreiben.“ In Rheinland-Pfalz, wo SPD, FDP und Grüne an der Regierung sind, werden dagegen die Faktoren betont, die zu einer erhöhten Straffälligkeit beitragen: „Die zunächst notwendige Unterbringungssituation in Sammelunterkünften, das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Kulturen und Wertvorstellungen und nicht zuletzt die Alterszusammensetzung und Geschlechtszugehörigkeit spielt bei dem hohen Anteil der Aggressionsdelikte eine nicht zu unterschätzende Rolle.“