Als hätten ihm die Täter den Fehdehandschuh hingeworfen. Oliver Hoffmann, Leiter der Abteilung Wirtschaftskriminalität beim baden-württembergischen Landeskriminalamt (LKA), ist gerade auf einer Dienstreise unterwegs, als auf seinem Diensthandy eine Botschaft aufploppt. „Hallo Mama“, steht da. Mama möge doch bitte die neue Telefonnummer abspeichern und über Whatsapp antworten. So geht es meist los mit der Betrugsmasche, an deren Ende gutgläubig Tausende Euro an dubiose Konten überwiesen werden.
Hoffmann wird die Nummer nicht speichern. Das wird aber die ihm zugeordnete Ermittlungsgruppe Phänomene tun, die sich beim LKA auch um Enkeltricks, Schockanrufer und falsche Polizisten kümmert. Handynummern und Kontobewegungen sind die ersten Daten und Ansätze, mit denen man auf die Spur der Betrüger kommen kann. Mit der modernen Variante des fast 25 Jahre alten Enkeltricks per Handy-Chat machen die Täter inzwischen ein Millionengeschäft. Mit steigender Tendenz.
Schon jetzt mehr als 10 000 Fälle
Dass sich Hoffmanns Ermittler verstärkt um die Strippenzieher des Whatsapp-Betrugs kümmern müssen, hat durchaus Gründe: Im Jahr 2022 ist die Zahl dieser Chat-Betrügereien im Südwesten auf 8669 Fälle gestiegen – und das scheint noch längst nicht das Ende des Trends zu sein. „Aktuell wurde die fünfstellige Marke gerissen“, teilt LKA-Sprecher David Fritsch auf Anfrage mit. Mehr als 10 000 Fälle bereits im Herbst – neues Jahr, neue traurige Rekorde.
Der Blick auf die letzten Tage: In Herrenberg (Kreis Böblingen) zahlt eine 63-jährige Frau für ihre vermeintliche Tochter eine Rechnung über 1000 Euro. In Geislingen (Kreis Göppingen) überweist eine 61-Jährige mehrere Tausend Euro für ihren Sohn auf ein Konto der Betrüger. In Oberriexingen (Kreis Ludwigsburg) zahlt eine 69-Jährige im Namen ihres Sohnes mehrere Tausend Euro auf zwei Konten.
Schaden bundesweit: mittlerer zweistelliger Millionenbetrag
„Durchschnittlich erzielen die Täter pro Vollendung 1000 bis 3000 Euro“, sagt Nina Garbo, Sprecherin des Bundeskriminalamts (BKA). Im Jahr 2022 sei durch den Whatsapp-Betrug bundesweit schätzungsweise ein Schaden im zweistelligen Millionenbereich entstanden. Über die Masche hatte unsere Zeitung als eine der ersten bereits im April 2021 berichtet. Damals hatte ein 59-Jähriger aus Kirchheim/Teck (Landkreis Esslingen) für seine vermeintliche Tochter 2250 Euro an eine Internetbank überwiesen.
Die Vorgehensweise ist einfach und massentauglich: Die Täter verschicken SMS-Botschaften an beliebige Handynummern von „Mama“ oder „Papa“ und täuschen ihre Handynummer als die neue vor, die es im Smartphone des Opfers einzutragen gilt. Wer darauf arglos eingeht und dann per Whatsapp reagiert, hat die Täter selbst legitimiert – und glaubt in der Folge, tatsächlich mit Sohn oder Tochter zu kommunizieren. Wer sich nicht auf anderen Wegen vergewissert, fällt leichter auf die Bitte herein, schnell mal die Bezahlung eines angeblich gekauften Computers oder Smartphones zu übernehmen. Oder sein Kreditkartenkonto belasten zu lassen.
Hierarchien: vom Geldwäscher bis zum Koordinator
Von Ermittlungserfolgen und Festnahmen ist dagegen bisher wenig zu hören. LKA-Mann Oliver Hoffmann verweist hier auf aufwendige Ermittlungen über die Finanzströme und Handynummern. Aber es gibt Erkenntnisse. „Da kommt viel aus Richtung Holland“, sagt Hoffmann. Allgemein seien durchaus Strukturen erkennbar: Auf der untersten Ebene agieren sogenannte Kontogeber oder Geldwäscher, die jene Konten bei Internetbanken eröffnen, auf denen die Beute zunächst landet. Eine Ebene über ihnen handeln die Betreuer, die mehrere Kontogeber steuern und sich von ihnen die Beute meist bar auszahlen lassen. Eine weitere Ebene bilden die SMS- und Whatsapp-Schreiber, die ihre Opfer einwickeln. Die vierte Ebene sind die Koordinatoren des Geschäfts. Wo aber stecken die?
Spur führt in die Niederlande
Die Niederlande als heiße Spur: Ähnlich wie bei den Bankomat-Sprengern scheinen sich dort Gruppierungen aufzuhalten, die sich auf den Chat-Betrug spezialisiert haben. Darauf deutet ein Ermittlungserfolg von Polizei und Staatsanwaltschaft im bayerischen Aschaffenburg hin. Die Beamten haben einen 25-jährigen Niederländer erwischt, der womöglich zur Ebene der Geldwäsche-Betreuer zählt. Und an den das Geld einer Frau aus dem Bezirk Aschaffenburg weitergeleitet worden sein soll. „Das ist alles immer noch Gegenstand der Ermittlungen“, sagt Staatsanwaltssprecher Marco Schmitt.
Der 25-Jährige sitzt seither in Untersuchungshaft – und schweigt. Er war gefasst worden, als er Mitte Juli von Holland nach Hamburg einreiste. Die Hansestadt spielte übrigens schon Wochen zuvor eine Rolle, als die Hamburger Polizei ebenfalls mutmaßliche Anwerber und Betreuer einer Kontogeber-Gruppe dingfest machte. Die beiden 23-jährigen Deutschen kamen allerdings wieder auf freien Fuß.
Eine weitere Niederlande-Spur ergab sich auch bei einer Razzia in Oberhausen, Duisburg und Essen Mitte Juni. Dort war aufgefallen, dass viele EC-Karten als verloren oder gestohlen meldet worden waren – letztlich von den Helfern der Geldwäscher-Ebene. Bei einer Razzia wurden neun Verdächtige im Alter von 14 bis 32 Jahren vorläufig festgenommen. „Wir konnten Bezüge in die Niederlande mit Beteiligten mit Wurzeln in die Maghrebstaaten feststellen“, sagt Melanie Anderhub, Sprecherin der Staatsanwaltschaft Duisburg. Für Haftbefehlsanträge reichte die Beweislage indes nicht aus.