Der Modekonzern sollte seinen neuen Vorstandschef nicht bei Nobelmarken suchen, rät der Handelsexperte Gerrit Heinemann. Er erklärt auch, warum der abgelöste Chef Lahrs in gewissen Bereichen gescheitert sei.

Stuttgart - An diesem Donnerstag legt Hugo Boss seine Zahlen für das Jahr 2015 vor. Im Vorfeld der Bilanzpressekonferenz überraschte der Metzinger Modekonzern mit einer Gewinnwarnung für das laufende Jahr und mit der Ablösung des Vorstandschefs Claus-Dietrich Lahrs. Der Handelsexperte Gerrit Heinemann empfiehlt dem Aufsichtsrat, sich bei der Suche nach einem Nachfolger Zeit zu lassen und nach Möglichkeit einen Spezialisten aus dem Bereich der vertikalen Bekleidungsketten zu holen.

 
Herr Heinemann, glauben Sie der Wechsel an der Spitze des Boss-Vorstands war unvermeidlich?
In einer Aktiengesellschaft, die innerhalb von kurzer Zeit zwei Gewinnwarnungen herausgibt (Oktober 2015 und Februar 2016, Anm. d. Red.), muss der Aufsichtsrat handeln. Da gab es gar keine andere Lösung.
Boss ist momentan führungslos. Sollte schnell ein Nachfolger gefunden werden?
Es wäre ein besseres Signal, wenn sich die Verantwortlichen bei der Suche Zeit nehmen, um am Ende eine wirklich passende Lösung zu präsentieren. So lange gibt es ja Stellvertreter, die das Unternehmen weiterführen.
Was muss ein neuer Chef mitbringen?
Er sollte unbedingt aus dem Bekleidungsbereich kommen, nicht einfach nur aus der Konsumgüterbranche. Ideal wäre ein Manager mit Erfahrung bei einer vertikalen Handelskette. Konzerne wie H&M oder Inditex (Zara) kennen sich sowohl mit Produktion als auch mit Einzelhandel aus.
Claus-Dietrich Lahrs kam 2008 vom französischen Luxusgüterhersteller Dior. Er wollte die Kernmarke Boss im Nobelsegment positionieren. War das der falsche Ansatz?
Herr Lahrs hat vor Boss bei mehreren Luxusherstellern gearbeitet, da lag diese Strategie wahrscheinlich in seiner DNA. Das Luxussegment bei Bekleidung macht allerdings maximal ein halbes Prozent des gesamten Marktes aus. Davon kann man nicht leben. Mit seiner Luxusausrichtung hat Boss ein Eigentor geschossen.
Welchen Weg muss der neue Chef einschlagen?
Die Kunst wird es sein, der Marke einen gewissen Touch zu geben und eine gewisse Kultigkeit. Trotzdem muss ein neuer Vorstandschef die Abhängigkeit vom Massengeschäft im Auge behalten, die nach wie vor besteht. Die Waren sind hochwertig und in der Preisklasse bis 600 Euro okay. Aber Luxus ist noch einmal eine Null hinten dran. Das ist Boss nicht und das wird die Marke auch nicht werden.
Unter Lahrs wurde vor allem der eigene Einzelhandel ausgebaut. Boss hat heute mehr als 1000 eigene Ladenflächen, hier werden fast 60 Prozent der Umsätze gemacht. War diese aggressive Expansion zu viel?
Mit diesem Problem haben zur Zeit viele Modelabels zu kämpfen. Als Erster hat Esprit eine zu starke Flächenexpansion betrieben und sich bis heute nicht von den Folgen erholt. Die Hersteller gehen mir eine Spur zu arrogant und ignorant an die Sache heran. Sie meinen: Einzelhandel machen wir mal eben so nebenher. Aus meiner Erfahrung heraus gibt es kein Geschäft, das risikoreicher ist. Es werden generell zu schnell zu teure Standorte angemietet. Da tun schon fünf falsche Standortentscheidungen bei langjährigen Mietverträgen und hohen Fixkosten extrem weh.
Sie glauben, Boss besitzt nicht die nötige Expertise, um Einzelhandel zu betreiben?
Bisher ist mir jedenfalls kein Vorstandsposten im Unternehmen bekannt, der speziell für den eigenen Einzelhandel zuständig ist. Das ist ein riesiger, weltweit agierender Konzern, aber ich könnte Ihnen keinen Namen nennen, der da für den Einzelhandel steht. Der neue Chef muss sich echte Fachleute ins Boot holen.
Sollten die Metzinger ihr Expansionstempo drosseln?
Das ist schwer zu sagen. Markenhersteller wie Boss orientieren sich ja an den vertikalen Vertriebsformen wie H&M oder Inditex (Zara), die gar nicht an Dritte vermarkten, sondern zu einhundert Prozent eigenen Einzelhandel betreiben. Damit sind sie derzeit die erfolgreichsten Anbieter am Markt. Sie können die Geschwindigkeit selbst bestimmen und haben keine Reibungsverluste im Großhandel.
Welche Probleme gibt es im Großhandel?
In den letzten Jahren wurde parallel zum Ausbau des Einzelhandels der klassische Großhandelsbereich vernachlässigt und geschwächt. Die Markenhersteller drangsalieren ihre Partner durch verschlechterte Konditionen und die Händler fühlen sich zu Recht verprellt. Stellen sie sich vor, sie betreiben ein Warenhaus und plötzlich eröffnet ihr Lieferant nebenan ein eigenes Geschäft oder ein Outlet und will ihnen darüber hinaus auch noch die Preise diktieren. Der Händler ist natürlich unzufrieden, das ist eine tickende Zeitbombe. Viele Einzelhändler reagieren mittlerweile auf diese Strategien der Hersteller, in dem sie verstärkt Eigenmarken auf den Markt bringen.
Boss ist aber auch vom Großhandelsgeschäft abhängig. Wie muss sich der Konzern dabei aufstellen?
Hersteller generell müssen den Großhandel völlig neu erfinden. Das bedeutet zum Beispiel, dass sie in einer leichten Franchise-Form, durch Lizenzen oder Flächenpartnerschaften mehr Durchgriff auf die Flächen erlangen. Was passiert, wenn man das nicht hat, lässt sich bei Boss gerade im US-Geschäft gut beobachten. Getrieben von Rabattschlachten geraten die Preise stark unter Druck. Statt Luxus- verkauft der Konzern dann plötzlich Ramschware.