Himmel, Hölle oder ein neues Leben auf Erden? Unbeirrbare Optimisten glauben an letzteres. Eine Voraussetzung: Tote bei eisiger Kälte konservieren und später wieder auftauen. Kryoniker hoffen dadurch auf ein zweites Leben. Ob das jemals funktioniert, ist unklar. Wieso glauben sie trotzdem daran?

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Wenn das Leben von Klaus Sames einmal zu Ende gehen wird, steht für ihn eins fest: „Ich will nicht zur Leiche werden.“ Ermöglichen soll das Kryonik. Sein toter Körper soll, so lautet der letzte Wille des 85-Jährigen, in den USA in einem Edelstahlbehälter mit dem Kopf nach unten aufgehängt werden.

 

In seinen Adern wird sich dann kein Blut mehr befinden, sondern eine mit medizinischen Frostschutzmitteln durchsetzte glasartige Substanz. Und der Körper des emeritierten Professors wird umhüllt sein von flüssigem Stickstoff. Temperatur: minus 196 Grad Celsius. „Und zwar so lange, bis man mich wiederbelebt“, sagt der frühere Dozent am Anatomischen Institut im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.

Der pensionierte Gerontologe Klaus Sames beschäftigt sich seit langem mit der Kryonik, der Tiefkühlkonservierung von Organismen, Organen und ganzen Lebewesen. Nach seinem Tod will auch er sich tiefkühlen lassen. Foto: dpa/Daniel Karmann

Wiedergeboren in einer fernen Zukunft

Kryokonservierung nennt sich dieses Verfahren. In einer fernen Zukunft – „in 100, 200 oder mehr Jahren, bis die Wissenschaft so weit ist“, so Sames – will er sich wieder auftauen lassen. Dann, wenn tödliche Krankheiten heilbar sein könnten und das Altern rückgängig gemacht werden könnte. Doch Kritiker glauben nicht, dass dies jemals gelingen wird.

Klaus Sames gilt in Deutschland als einer der Kryonik-Pioniere. Eigentlich ist er Gerontologe – Altersforscher. Nach seinem Ruhestand lebte er lange Zeit in der Nähe von Ulm. Vor einigen Jahren ist er ins nordbayerischen Hersbruck umgezogen.

Mit seiner Forschung habe er früher dazu beitragen wollen, das Altern abzuschaffen, erzählt er. Das sei ihm aber nicht gelungen. Deshalb setzt er nun auf die Kryonik – auch Biostase genannt – und sieht darin eine konsequente Fortsetzung seiner Arbeit. „Medizin ist Lebenserhaltung und wir erweitern einfach die Möglichkeiten.“

Die tiefgefrorenen Zellen können über einen sehr langen Zeitraum in einer Art Kältestarre erhalten werden. Alle Stoffwechselvorgänge kommen dabei fast vollständig zum Stillstand. Foto: Imago/Depositphotos

Eingefroren in flüssigem Stickstoff

Kryonik oder Kryostase (vom griechischen Wort für Kälte) bezeichnet die Konservierung von Organen bei extrem tiefen Temperaturen. Kryokonservierung wird sowohl bei pflanzlichen als auch bei tierischen Zellen angewandt. Beim Menschen werden Spermien, Eizellen und Embryonen tiefgefroren. Die Lagerung findet in sogenannten Kryobanken statt.

Die Zellen werden in flüssigen Stickstoff eingetaucht und in weniger als einer Sekunde auf minus 196 Grad Celsius schockgefrostet.  So können die tiefgefrorenen Zellen über einen sehr langen Zeitraum in einer Art Kältestarre erhalten werden.

Alle Stoffwechselvorgänge kommen fast vollständig zum Stillstand. Bei minus 196 Grad Celsius ist dann keinerlei Zellaktivität mehr zu beobachten. Nach dem Auftauen können die Zellen ihre normalen Lebensprozesse wieder aufnehmen. Embryonen beispielsweise können in die Gebärmutter eingepflanzt werden.

Schockgefrostet ins zweite Leben

Wenn einzelne Zellen schockgefrostet werden, bildet das darin enthaltene Wasser nur kleine Eiskristalle. Bei größeren mehrzelligen Organismen entstehen aufgrund der zu geringen Temperaturabsenkung weit größere Eiskristalle. Sie werden so groß, dass sie die Zellwände durchbrechen und diese zerstören.

Solche Schädigungen zeigen sich auch beim Einfrieren von Lebensmitteln in der Gefriertruhe: Nachdem Früchte wie Erdbeeren aufgetaut worden sind, wirken sie matschig und unansehnlich. Der Grund: Sie haben Wasser verloren, das aus den beschädigten Zellen ausgetreten ist.

Wann das zweite, post-kryonische Leben beginnen könnte, ist völlig unklar. Bislang würde jeder Auftauversuch zur Zerstörung führen. Foto: Imago/Westend61

Aussicht auf Unsterblichkeit

Nach heutigem Wissensstand beträgt die maximale Lebenserwartung eines Menschen rund 120 Jahre. Die Kryoniker geben sich damit nicht zufrieden. Sie wollen den Tod besiegen. Seit 1967 werden in den USA Tote eingefroren, um ihre Zellen vor dem Zerfall zu bewahren.

Der Vater der Kryonik, der US-Physiker Robert Ettinger, erlangte 1962 mit seinem Buch „The Prospect of Immortality“ („Die Aussicht auf Unsterblichkeit“) Berühmtheit. Gestorbenen, so Ettinger, könne in der fernen Zukunft neues Leben eingehaucht werden, sofern man sie rasch auf Tiefsttemperatur herunterkühlt. Nicht wenigen Menschen war das ein Versuch wert. Kosten: bis zu 200 000 Dollar (186 000 Euro), Ergebnis: völlig offen.

Der an Krebs gestorbene Amerikaner James Bedford war der erste Mensch, der sich im Jahr 1967 in einem Metalltank einfrieren ließ. Seitdem ruht er mit anderen Toten im Cryonics Institute in Clinton Township, Detroit (US-Bundesstaat Michigan). Die zweite große US-Kryonik-Firma, Alcor Life Extension Foundation, befindet sich in Scottsdale (US-Bundesstaat Arizona). Beide wurden in den 1970er Jahren gegründet und bezeichnen sich als Non-Profit-Organisationen.

Das alte Prinzip des Jungbrunnens in neuem Gewand

Was treibt solche Menschen an? „Kryonik verspricht im Prinzip den Jungbrunnen“, erklärt der Mediziner Eckhard Nagel von der Universität Bayreuth. „Das ist praktisch eine Kompensation der Angst vor dem Sterben und ist Ausdruck der Unfähigkeit, sich mit der eigenen Endlichkeit auseinanderzusetzen.“

Die Vorstellung sei jedoch absurd, meint Nagel. „Selbst wenn man die Todesursache eines Menschen in Zukunft behandeln könnte und es tatsächlich gelingen sollte, einem mit Frostschutzmittel gefluteten Körper eine Funktion abzuringen, würde man meist doch nur einen verlebten Körper am Ende seiner natürlichen Existenz zu einem Leben ohne Perspektive erwecken.“

„Kryonik verspricht im Prinzip den Jungbrunnen“ (Der Jungbrunnen, Bild von Lucas Cranach der Ältere, 1472-1553). Foto: Imago/H. Tschanz-Hofmann

Klaus Sames sieht für sich dennoch keine Alternative. „Tod oder Kryonik“, sagt er. Die Chance, in einer fernen Zukunft ein neues Leben zu bekommen, lässt er sich einiges kosten. 28 000 Dollar (26 000 Euro) zahlt er an das Cryonics Institute, damit sein Körper dort kopfüber hängend in einem Kühltank aufbewahrt wird. 250 Menschen werden nach Angaben des Instituts bereits so gelagert, fast 2000 weitere haben Verträge wie Sames. Alcor kommt auf ähnliche Zahlen.

Auch viele junge Leute setzen auf Kryonik

Man könnte das Ganze als kuriose Idee älterer Menschen abtun, die sich am Lebensende vor dem Tod fürchten. Doch auch viele Jüngere beschäftigen Fragen wie: Was kommt danach? Und: Muss das Leben wirklich irgendwann enden?

Emil Kendziorra, Geschäftsführer des Berliner Start-ups Tomorrow Biostasis, steht in einem umgebauten Krankenwagen. Das Biotech-Unternehmen ist auf die Kryokonservierung von Menschen spezialisiert. Um die Prozedur mobil vornehmen zu können, wurde ein Krankenwagen umgebaut. Foto: dpa/Monika Skolimowska

Vor zwei Jahren hat der Mediziner Emil Kendziorra in Berlin das Start-up Tomorrow Bio gegründet, das Kryokonservierung in Europa anbietet. 400 bis 500 Menschen haben inzwischen seinen Angaben zufolge einen Vertrag, darunter er selbst. Der Großteil davon sei zwischen 30 und 50 Jahre alt, berichtet der 38-Jährige.

Mehrere Krankenwagen hat das Unternehmen zu mobilen Behandlungsräumen umgebaut. Idealerweise sei das Team schon vor Ort, kurz bevor jemand sterbe, erläutert Kendziorra. Sobald der Kunde für klinisch tot erklärt worden sei, könne die Kryokonservierung beginnen.

Aufbewahrt würden sie in einer Einrichtung in der Schweiz. 200 000 Euro kostet das Ganze, wobei mit 120 000 Euro der Großteil an eine Stiftung gehe, die das Geld anlege, um die Lagerung der Körper auf unbestimmte Zeit zu finanzieren, betont Kendziorra.

„Ablasshandel wie im Mittelalter“

Den Bayreuther Mediziner Nagel erinnert das alles an den Ablasshandel im Mittelalter. Dieser habe die Uninformiertheit und die grundlegende Angst der Menschen vor dem ewigen Schmoren in der Hölle ausgenutzt, um diese zur Kasse zu bitten. „Genauso tut das die Kryonik heute auch. Das hat an Aktualität offensichtlich nichts verloren, an Verwerflichkeit auch nicht.“

Auch Reproduktionsmediziner Schlatt findet die Kryonik aus ethischer Sicht bedenklich. „Das ist eine unfassbar ekelige Geschäftemacherei mit Hoffnung auf etwas, was es nie geben wird.“

Fantasterei und „reine Zukunftsmusik“

Wissenschaftler wie der Biophysiker Günter Fuhr halten solche Vorstellungen für Fantasterei und „reine Zukunftsmusik“. Beim Einfrieren würden die Körperflüssigkeiten Eiskristalle bilden, die sich ausdehnten und die Zellwände zerstörten, erklärt der frühere Leiter des Fraunhofer-Instituts für Biomedizinische Technik (IBMT) im saarländischen Sulzbach. Bei einzelnen Zellen könne man diesen Vorgang mittels biologischer Frostschutzmittel kontrollieren, nicht aber bei komplexen Organismen wie dem Menschen.

Das wird auch von Kryonikern nicht bestritten. Um die zelluläre Vernichtung durch Kristallbildung zu verhindern, setzen sie auf die Methode der Vitrifikation (wörtlich: Verglasung). Dieses Verfahren stammt aus der Kryobiologie, einem Teilgebiet der Biologie, die sich mit den Auswirkungen extrem niedriger Temperaturen auf Organismen, Gewebe und Zellen beschäftigt.

Der Traum von ewigen Leben

Fest steht: Der Traum von der Rückkehr aus dem Totenreich ist so alt wie die Menschheit. „Natürlich ist der Mensch bestrebt, den Tod immer weiter hinauszudrängen. Aber der Tod gehört zum Leben dazu“, gibt der Molekularbiologe Jörg Klug zu bedenken. Er arbeitet am Institut für Anatomie und Zellbiologie der medizinischen Fakultät der Universität Gießen. Auch hier setzt man auf die Kryokonservierung – also auf extreme Kälte und spezielle Konservierungsmittel, um die zerstörerische Bildung von Eiskristallen beim Gefrierprozess zu stoppen.

„Auf diese Weise können wir problemlos Zellkulturen einfrieren und wiederauftauen“, erklärt Klug. Jedoch handle es sich um Einzeller und einfache Mehrzeller. Das Problem sei, nicht nur ein einzelnes Organ oder einen ganzen Menschen einzufrieren und später wieder aufzutauen. „Im Nachhinein soll er ins Leben zurückgeholt werden. Wie soll das gehen?“ Und er fügt hinzu: „Es ist nicht sinnvoll, unendlich lange zu leben.“

So funktioniert das Einfrieren von Toten

„Wir sind heute so weit, dass wir eine komplette Kryonik-Versorgung bis zum Transport nach Detroit bieten können“, betont hingegen Klaus Sames. „Aber unser Projekt bräuchte dringend Förderung, wir suchen Sponsoren und Räumlichkeiten.“ Zur Ausstattung gehören – neben Pumpen, Schläuchen, OP-Geräten, Chirurgenbestecken und Medikamenten – auch Computeruhren. Eine davon trägt Sames ständig am Arm. „Wenn mein Herz stehen bleibt, alarmiert sie die anderen.“

Dieses Prozedere entspricht den Maßgaben des Cryonics Institute, wo Sames sich einen Platz im „Rettungswagen in die Zukunft“ gesichert hat. Das Team rückt mit 60 Kilogramm Eis an. Das Blut wird aus dem Körper gepumpt und durch Frostschutzmittel ersetzt. Der „Patient“ bekommt dann Medikamente gespritzt, mit denen Zellmembranen geschützt werden und die Blutgerinnung verhindert wird. In Trockeneis (minus 78 Grad) wird er nach Detroit geflogen, wo das Herunterkühlen auf minus 196 Grad und die Lagerung erfolgt.

Zweites Leben? Bisher unmöglich

Wann das zweite Leben beginnen könnte, ist völlig unklar. Bislang würde jeder Auftauversuch zur Zerstörung führen. Eiskristalle, deren Bildung kaum zu verhindern ist, würde Gewebe zerreißen, die toxischen Bestandteile des Frostschutzmittels würden den Körper vergiften. „Irgendwann wird das beherrschbar sein“, ist Klaus Sames überzeugt. „Ich freue mich jetzt schon auf die vielen Bücher, die ich in meinem ersten Leben nicht mehr lesen kann“ (mit dpa-Agenturmaterial).