Streiks der Gewerkschaft Verdi auf dem Betriebsgelände von Amazon in Pforzheim werden nicht untersagt. Dies hat das Landesarbeitsgericht in Stuttgart entschieden. Die Streikenden dürfen sich somit auch in Nähe des Eingangs aufhalten.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Im Dauerkonflikt zwischen Verdi und Amazon ist der Fall nur eine Zwischenetappe – juristisch birgt er Brisanz. Denn es gilt abzuwägen zwischen den grundgesetzlich geschützten Gütern des Eigentumsschutzes und des Streikrechts. Höchstrichterlich wurde darüber in vergleichbarer Konstellation noch gar nicht geurteilt. Nun hat das Stuttgarter Landesarbeitsgericht (LAG) entschieden, Streiks auf dem Betriebsgelände von Amazon in Pforzheim nicht zu untersagen.

 

Die Verdi-Aktionen sind dem Versandhändler längst ein Dorn im Auge – selbst in Pforzheim, wo am 21. und 22. September 2015 lediglich gut 35 Streikende von 900 Beschäftigten vor dem Haupteingang Flugblätter verteilten. Auf dem Wege eines einstweiligen Verfügungsverfahrens verlangte Amazon daher, weitere Aktionen auf dem Betriebsgelände zu unterbinden. Allenfalls mehr als 100 Meter vom sogenannten Banana-Tower und den Drehkreuzen entfernt – praktisch auf der Straße beim Parkplatz – wollte der Arbeitgeber den Protest zulassen, weil sonst privates Betriebsgelände genutzt und damit das Hausrecht verletzt werde. Nach Verdi-Auslegung beinhaltet das Arbeitskampfrecht aber die Möglichkeit, die Mitarbeiter persönlich und effektiv ansprechen zu können, was bei der Entfernung nicht gewährleistet sei. Im Herbst ha be man dennoch darauf geachtet, Blockaden von Betriebsabläufen zu vermeiden. Amazon-Rechtsvertreterin Bettina Scharff entgegnete: Dass Streiks genutzt würden, um die Beschäftigten direkt anzusprechen, „dafür fehlt mir jegliches Verständnis“. Der Arbeitgeber müsse nicht an der eigenen Schädigung mitwirken.

Verdi lehnt Kompromissvorschlag ab

Den Vorschlag des Vorsitzenden LAG-Richters Ulrich Hensinger, bis zu einer Entscheidung des Arbeitsgerichts Berlin Streiks innerhalb einer „Bannmeile“ von 100 Metern zu unterlassen, akzeptierte Verdi nicht. Die Berliner Richter wollen am 7. April im Hauptsacheverfahren urteilen. Unabhängig von den sachlichen Motiven sah der Justitiar Carsten Scholz wohl die Gefahr, dass ein Kompromiss als politische Niederlage gewertet werden könnte. Schon vor dem Arbeitsgericht Pforzheim war Amazon gescheitert – nun auch in der Berufungsinstanz. Mangels Dringlichkeit wollte das LAG dem Antrag auf eine einstweilige Verfügung nicht stattgeben.

Gewerkschaftspolitisch ist Verdi keineswegs auf Erfolgskurs. Der Pforzheimer Streik im Herbst habe die Erwartungen nicht erfüllt, gestand Scholz. „Er wird als relativ erfolglos gewertet.“ Somit habe man auch das Weihnachtsgeschäft nicht behindert – und bis April seien neue Aktionen „zu 99,9 Prozent“ ausgeschlossen. Wegen des niedrigen Organisations- und Mobilisierungsgrades muss die Strategie überdacht werden. In Leipzig oder Koblenz sind Aktionen möglich. Folglich wird der nun dreijährige Kampf um einen Anerkennungstarifvertrag bei Amazon noch lange anhalten.