Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) muss in Thüringen um ihre Macht bangen. Der Linkspartei-Politiker Bodo Ramelow macht ihr den Chefposten streitig.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Erfurt - Was ist gut und was ist böse? In der Martinskirche zu Heiligenstadt ist das zu besichtigen. Christine Lieberknecht blickt nach oben. Es geht um eine Frage, die auch ihren Wahlkampf bestimmt. Pfarrer Ralf Schultz erläutert dem Gast die Figuren der gotischen Kapitelle. Sie zeigen Szenen aus dem Paradies, den Sündenfall. Das Böse sieht eigentlich gar nicht aus wie Bodo Ramelow. Schultz deutet stattdessen auf einen Drachen.

 

Wer der CDU-Frau zuhört, könnte allerdings den Eindruck gewinnen, der Linkspolitiker Ramelow, der ihr die Macht in Thüringen streitig machen will, sei ein Sendbote des Leibhaftigen. So würde sie das nie sagen. Sie spricht aber von einem „Unheil“, das es abzuwehren gelte. Ihre Wahlkampfreden hören sich an, als sei Thüringen ein einziges Paradies und Ramelow derjenige, der dieses Paradies bedrohe.

Heiligenstadt liegt dort, wo die thüringische CDU ihre Wahlen zu gewinnen pflegt. Im katholischen Eichsfeld an der Grenze zu Hessen hat die Union ihre treuesten Anhänger. Lieberknecht trifft aber kaum welche von ihnen. Bei ihrem Kirchenbesuch sind nur ein knappes Dutzend Protestanten dabei, die hier in der Minderheit sind. Die Ministerpräsidentin, von Hause aus Pastorin, lässt sich auf der Orgel vorspielen, fachsimpelt mit ihrem Kollegen über das Psalmodieren, die Ökumene und die Frage, ob es besser sei, von der Kanzel herab zu predigen. Ganz nebenbei stellt sie weitere Zuschüsse aus dem staatlichen Lottofonds in Aussicht, damit neben den Kapitellen auch andere Kleinodien in der mittelalterlichen Basilika saniert werden können.

Bei der letzten Wahl erlebte die CDU ein Debakel

Lieberknecht regiert seit fünf Jahren in Erfurt. Sie kam an die Macht, nachdem die CDU bei der letzten Landtagswahl ein Debakel erlebt hatte: den Absturz von 43 auf 31,2 Prozent. Ministerpräsident Dieter Althaus sah sich zum Rücktritt gezwungen. Das Wahlfiasko war ihm ganz persönlich anzulasten: Ein halbes Jahr zuvor hatte er einen Skiunfall, bei dem eine Frau ums Leben kam. Das warf ihn aus der Bahn. Lieberknecht nutzte die Krise als Chance. Die damalige Sozialministerin wurde „von der Mitläuferin zur Ministerpräsidentin“, schreibt ihr Biograf Martin Debes.

Die 56-jährige Christdemokratin rettete ihre Partei aus der Bredouille. Mittlerweile liegt die CDU in Umfragen wieder etwas besser. Dennoch muss Lieberknecht um ihr Amt bangen, falls die SPD nach der Wahl als Koalitionspartner abtrünnig wird. Die Sozialdemokraten haben bereits zu erkennen gegeben, dass sie unter Umständen auch den Linken Ramelow zum Regierungschef wählen könnten.

Lieberknecht möchte keine Fußnote der Landespolitik sein

Sie könne sich „jederzeit vorstellen, wieder als Pastorin zu arbeiten“, versichert die bundesweit erste Ministerpräsidentin der CDU. Aber natürlich möchte sie nicht als Fußnote in die Landesgeschichte eingehen, die seit 25 Jahren von der Union geschrieben wird. Lieberknechts Popularität als Landesmutter litt unter einer Affäre, in der es um unberechtigte Pensionsansprüche ihres früheren Regierungssprechers ging. Dafür hat sie nur lapidare Sätze übrig: „Wer arbeitet, macht auch hier und da Fehler.“ Wie auch immer – der Union bleibt im Moment nur eine Machtoption: das Bündnis mit der SPD. Falls die den Partner wechselt, wäre das ein Albtraum für Lieberknecht. Sie mag sich das gar nicht vorstellen. „Wenn Ramelow sagt, er habe in 80 Prozent aller Fragen Übereinstimmung mit der SPD, dann sage ich: geschenkt.“ So kann sie sich ereifern. Mit SPD-Chef Christoph Matschie sei sie derart vertraut, dass sie „im offenen Cabrio durch Erfurt fahren“ könnten, beteuert Lieberknecht.

In Küllstedt, einem Dorf am Westerwald, gibt es die SPD praktisch gar nicht. Die CDU verfügt über eine Zweidrittel-Mehrheit im Gemeinderat und stellt die Bürgermeisterin, die auch im Landtag sitzt. Wahlplakate der Konkurrenz muss man suchen. Wer das Gasthaus „Zur Blume“ betritt, bekommt einen Spruch von Bismarck zu lesen, noch bevor ihm die Speisekarte gereicht wird. „Ein Volk, dass (!) seine Wirte nicht ernähren kann, ist es nicht wert, eine Nation genannt zu werden“, steht an einem Deckenbalken im Flur. Das Hinterzimmer ist gut besetzt. „Es kommt auf jeden an“, predigt die Ministerpräsidentin. Auf das Mikrofon, das sie wie eine Kerze hält, könnte sie eigentlich verzichten.

„Überhaupt kein Grund für ideologische Experimente“

„Mädchen, mach den Mund auf“, hatte ihr Ziehvater Helmut Kohl einst geraten. Sie beherzigt das, redet wie ein Marktschreier. Was sie anzupreisen hat, ist eine Politik, in der es keine Schattenseiten zu geben scheint. Die Ministerpräsidentin spricht über ihr Land, als wäre es der Garten Eden. Thüringen sei „auf Erfolgskurs“ und „auf der Überholspur“. So geht das in einem fort. Die Region, in der Küllstedt liegt, nennt sie „absolut super top“. Hier sei es „einfach schöner als anderswo“. Sorgen scheinen die Leute kaum zu haben. Die Bürgermeisterin muss sie förmlich dazu drängen, auch eine Frage zu stellen. Lieberknecht mahnt: Es gebe „überhaupt keinen Grund für ideologische Experimente“.

Über ihren Widersacher Ramelow spricht sie, als sei er der personifizierte Niedergang. Die CDU habe nach der Wende „die Verhältnisse vom Kopf auf die Füße gestellt“, sagt Lieberknecht. Jetzt drohe „eine Rolle rückwärts“. Für potenzielle Linkswähler hat sie ein abschreckendes Sprichwort parat: „Wenn’s dem Esel zu wohl wird, tanzt er auf dem Eis.“