Auf Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe ist ein notorischer Drogenhändler auf freien Fuß gekommen – nach 14 Monaten Untersuchungshaft. Justizminister Guido Wolf will die Zahl der Richter und Staatsanwälte in den nächsten Jahren aufstocken.

Stuttgart - Der Fall ist spektakulär: ein notorischer Drogendealer mit Verbindungen zur Mafia wird vom Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe auf freien Fuß gesetzt, obwohl die Richter ausdrücklich eine Fluchtgefahr anerkennen. Der Angeklagte saß bereits mehrfach im Gefängnis, sogar Sicherungsverwahrung steht im Raum. Vom Justizministerium wird die Aufhebung des Haftbefehls nach vierzehn Monaten Untersuchungshaft als Einzelfall heruntergespielt. Und tatsächlich trug der Umstand, dass der Vorsitzende Richter der zuständigen Strafkammer am Landgericht Offenburg während des Prozesses unaufschiebbar in den Ruhestand trat, zur Verfahrensverlängerung bei.

 

Doch die Warnung des Oberlandesgerichts – in Form eines „obiter dictum“, einer ergänzenden Erklärung vorgetragen –, die mangelnde Personalausstattung der Gerichte unterlaufe das verfassungsrechtliche Gebot einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege, ist deutlich. Der Haushaltsgesetzgeber – sprich: der Landtag – müsse einschreiten, wolle er die weitere Aufhebung von Untersuchungshaftbefehlen vermeiden. Damit berühren die OLG-Richter ein delikates Thema, das insbesondere amtierenden Justizministern am Herzen liegt. Denn auch wenn bis zu einer Verurteilung vor Gericht die Unschuldsvermutung gilt: Angeklagte Straftäter, die auf freien Fuß kommen, weil die Mühlen der Justiz zu langsam mahlen, stoßen in der Öffentlichkeit nicht auf Wohlwollen. Und Minister, die das zulassen, ebenso wenig.

Haftbefehle aufgehoben

Bereits 2013, kurz vor Weihnachten, hatte das OLG Stuttgart die Haftbefehle gegen fünf Drogendealer aufgehoben. Das war seinerzeit keine originelle Form von Weihnachtsfrieden, vielmehr hatte das Landgericht Heilbronn offenkundig wegen Überlastung die Hauptverhandlung nicht in einem rechtlich vertretbaren Zeitraum anberaumen können. Damit wurde nach Ansicht des OLG dem in Haftsachen geforderten Beschleunigungsgebot nicht Rechnung getragen. Der Vorgang fand erhebliche Beachtung, der CDU-Landtagsabgeordnete Bernhard Lasotta sprach von einem „unhaltbaren Zustand für das Justizwesen in Baden-Württemberg“. Der Minister hieß damals Rainer Stickelberger (SPD). Dessen Ressort verteidigte sich mit dem Hinweis, die Ausstattung des Landgerichts Heilbronn sei auskömmlich. Dennoch könne es bei unglücklicher Häufung und besonders umfangreicher und eilbedürftiger Haftfälle „im Einzelfall“ zur Überlastung eines Gerichts kommen.

Nach einer Aufstellung des Justizministeriums vom Januar 2015 wurden im Zeitraum von 2003 bis 2014 insgesamt 82 Haftbefehle aufgehoben, 2015 gab es hingegen keinen einzigen solchen Fall, in diesem Jahr einen: den vom OLG Karlsruhe mit Beschluss vom 27. Oktober freigelassenen Drogendealer. Nicht zuletzt in Folge der Heilbronner Fälle entwickelte Justizminister Stickelberger im Jahr 2014 ein „Frühwarnsystem“, das auf besondere Belastungssituationen bei den Gerichten aufmerksam machen soll. Demzufolge sollen Staatsanwaltschaften, Landgerichte und Obergerichte dem Justizministerium möglichst rasch alle Umstände melden, die auf die Gefahr einer Überlastung im Strafbereich oder die Aufhebung eines Haftbefehls hindeuten. Das blieb nicht ohne Erfolg. Dank der anhaltend guten Haushaltslage vermochte Stickelbergers Nachfolger Guido Wolf (CDU) im Entwurf für den Etat 2017 insgesamt 74 Neustellen für Richter und Staatsanwälte herauszuschlagen: 40 Staatsanwälte und 34 Richter. Laut Justizministerium fehlen in der aktuellen Personalbedarfsrechnung im höheren Justizdienst des Landes in toto etwa 200 Stellen für Richter und Staatsanwälte.

Ein bisschen Fett für karge Zeiten

Wolf verlangt deshalb für die nächsten Jahre weitere Stellen. Noch sprudeln die Steuerquellen. Vom Jahr 2020 an darf das Land indes in Folge der Schuldenbremse keine zusätzlichen Kredite aufnehmen. Das engt den Spielraum ein. Bis dahin werden nicht nur das Justizministerium, sondern auch andere Ressorts versuchen, ihren Stellenhunger zu stillen und ein bisschen Fett für karge Zeiten anzusetzen.