Corona senke die Lebenserwartung, hieß es jüngst in den Nachrichten. Das hat allerdings nichts mit den heutigen Kindern zu tun. Wie alt werden sie – und was trägt dazu bei?

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Die Coronapandemie führe zu einer geringeren Lebenserwartung in Deutschland, meldete vergangene Woche das Statistische Bundesamt. Die Berichte dazu wurden vielfach mit Babyfotos illustriert – so, als ob heute Neugeborene wegen des Virus früher sterben. Was ist dran? Und wie alt werden Kinder, die in den vergangenen Jahren zur Welt gekommen sind? Hier beantworten wir diese Fragen.

 

Corona senkt die Lebenserwartung: Was heißt das? Das Statistische Bundesamt errechnet die Lebenserwartung bei Geburt. Diese ist seit Pandemiebeginn auf 83,2 Jahre für Frauen (minus 0,4 Jahre) und auf 78,2 Jahre bei Männern (minus 0,6 Jahre) gesunken. Das liegt daran, dass coronabedingt mehr Menschen gestorben sind, als zu erwarten gewesen wäre. Viele der Verstorbenen hätten ohne Pandemie noch etliche Jahre länger gelebt. Das drückt sich in der gesunkenen Lebenserwartung aus. Dieser Wert bezieht nämlich alle Altersstufen mit ein – Neugeborene ebenso wie ältere Jahrgänge, von denen besonders viele coronabedingt verstorben sind.

Was sagt der Wert nicht aus? Die so angegebene Lebenserwartung habe wenig damit zu tun, wie alt heute Neugeborene tatsächlich werden dürften, erklärt Felix zur Nieden vom Statistischen Bundesamt. „Anhaltspunkte dazu findet man in den sogenannten Kohortensterbetafeln“, so der Statistiker. Dort ist für jeden Geburtenjahrgang das zu finden, was man landläufig unter „Lebenserwartung“ versteht – nämlich das durchschnittlich zu erwartende Sterbealter für einen bestimmten Geburtsjahrgang.

Die Werte werden in zwei Varianten anhand von Annahmen errechnet. Die optimistische Variante geht davon aus, dass die Lebenserwartung auch in Zukunft so stark steigt wie seit 1971. 2020 geborene Mädchen könnten dann im Schnitt bis zu 93 Jahre alt werden, Jungen bis zu 90 Jahre. Sollte der Zuwachs so langsam verlaufen wie seit 2011 beobachtet, ergibt das Modell für Jungen eine Lebenserwartung von 82 Jahren, für Mädchen 86 Jahre.

Warum gibt es zwei verschiedene Maße für Lebenserwartung? Die coronabedingt gesunkene Lebenserwartung ist etwa für Rentenversicherungen relevant, die damit die Leistungsdauer abschätzen. Wie der Einfluss der Übersterblichkeit während der Pandemie zeigt, reagiert dieser Wert sehr schnell auf solche Entwicklungen. Für eine individuelle Prognose der verbleibenden Lebensdauer taugt der Wert nicht.

Werden wir denn immer älter? Für die Lebenserwartung bei Geburt liegen seit der Gründung des Deutschen Reichs 1871 Daten vor. Damals lag sie bei 35,6 Jahren für Männer und 38,5 Jahren für Frauen. Die niedrigen Werte haben mit der hohen Säuglingssterblichkeit zu tun – damals starb ein Viertel der Neugeborenen im ersten Lebensjahr.

Wie alt die Menschen tatsächlich werden, ist dagegen am durchschnittlichen Sterbealter abzulesen. Ohne die im ersten Lebensjahr Verstorbenen war lange Zeit ein Sterbealter von etwa 60 Jahren normal. 1956 betrug es 62 Jahre für Männer und 66 Jahre für Frauen, 2020 waren es schon 76 beziehungsweise 82 Jahre. Menschen in Deutschland werden heute also im Schnitt rund 15 Jahre älter als die Generationen zuvor.

Was beeinflusst die Lebenserwartung? Seit dem 19. Jahrhundert sind die medizinische Versorgung, die Hygiene, Ernährung und Wohnsituation großer Teile der Bevölkerung deutlich besser geworden. „Auch die Arbeitsbedingungen und der gestiegene materielle Wohlstand können als maßgebliche Gründe genannt werden“, schreibt das Statistische Bundesamt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hätten kriegsbedingte Gesundheitsschäden sowie stark zunehmende Verkehrsunfälle den Trend stark verlangsamt, 1969/70 die Hongkong-Grippe. Seither stieg die Lebenserwartung konstant. Vier Faktoren sind laut Statistischem Bundesamt wichtig, damit sich der Trend fortsetzt: weniger Tabak- und Alkoholkonsum, weniger Suizide sowie weniger übergewichtige Kinder und Jugendliche.

Gibt es regionale Unterschiede? In Deutschland gab es bei der Wiedervereinigung eine deutliche Lücke zwischen der Lebenserwartung in Ost und West. Bei Frauen ist die Lücke mittlerweile geschlossen, ostdeutsche Männer haben dagegen weiterhin eine etwa anderthalb Jahre niedrigere Lebenserwartung. Seit der Pandemie ist der Abstand sogar wieder gestiegen – „weil die ostdeutschen Bundesländer von der Pandemie bislang stärker betroffen waren“, schreibt das Statistische Bundesamt.

In Baden-Württemberg ist die Lebenserwartung bundesweit am höchsten. Männer werden hier mit 79,9 Jahren rechnerisch rund drei Jahre älter als im „Schlusslicht“ Sachsen-Anhalt, Frauen mit 84,2 Jahren zwei Jahre älter als im Saarland, wo Frauen die geringste Lebenserwartung haben.