Mit Chlor desinfiziertes Geflügel ist einer der Kritikpunkte am Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA. Nun äußert sich das Bundesinstitut für Risikobewertung zum Streit: Die Experten halten Chlorhühnchen für ungefährlich.

Stuttgart - Der neue Aufreger im Lebensmittelsektor heißt: Chlorhuhn. Verschiedene Gruppen streiten darüber, ob die derart im Herstellungsprozess desinfizierten US-Henderl nun gefährlich sind oder nicht. Prominent wurde das Chlorhuhn, nachdem die EU mit den USA das geplante Freihandelsabkommen in Angriff genommen hatte (siehe 2. Seite).

 

Seitdem streiten Experten unter anderem darüber, ob Chlorhühner künftig auch in Deutschland zu kaufen sein sollen. Gegner des Abkommens befürchten, dass der Vertrag nicht nur die Einfuhr der Chlorhühnchen nach Europa ermöglichen würde, sondern dass er zentrale Standards der Lebensmittelsicherheit und des Verbraucherschutzes aufweichen könnte, die sich bewährt haben. Europäische Verbände wettern gegen das Abkommen an sich, einige Politiker sind dagegen, Kirchen und Gewerkschaften warnen, Verbraucherschützer ebenso – und die Verbraucher rätseln. Klar ist vielen nur eines: Chlorhühner sollen lieber draußen bleiben. Und mit ihnen auch das Freihandelsabkommen.

Was aber hat es denn mit dem gechlorten Hühnern überhaupt auf sich? In den USA ist es gängige Praxis, Geflügel während der Produktion mit der chemischen Substanz zu desinfizieren. Zumeist wird dafür Chlordioxid eingesetzt. Nach der Schlachtung müssen die Hühner – egal in welchem Teil der Erde – schnell gekühlt werden. In Europa passiert das mit einem Luftgemisch, in den USA wird Wasser eingesetzt. Damit sich keine Salmonellen oder andere Bakterien ausbreiten können, wird in den USA dann die Chlormischung verwendet. Diese reinigt zudem das Geflügelfleisch.

In Deutschland ist das spezielle Verfahren zur Desinfektion von Hühnern bisher nicht zugelassen. Die Trinkwasserverordnung erlaubt 0,3 Milligramm Chlor pro Liter Wasser in Deutschland. Es unterliegt jedoch ständigen Kontrollen. Ebenfalls zulässig ist es Experten zufolge, Lebensmittel wie Fleisch mit chlorhaltigem Wasser im Herstellungsprozess abzuwaschen. Dieser Prozess ist aber mit Blick auf die Dosis des Chlors nicht mit dem amerikanischen Prozedere vergleichbar.

Die europäische Behörde kommt zum selben Schluss

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in Berlin gibt nun aber auch bezüglich der amerikanischen Chlorhühner Entwarnung: „Aus gesundheitlicher Sicht stellt die Behandlung von Geflügel mit chemischen Mitteln wie Chlordioxid oder Peroxisäuren nach der Schlachtung, wie sie in den USA üblich ist, für den Verbraucher kein zusätzliches Risiko dar“, sagt Andreas Hensel, Präsident des BfR.

Die Verfahren seien in der EU noch nicht zugelassen, weil unter anderem Fragen der Resistenzbildung und der Umweltverträglichkeit solcher Verfahren noch nicht abschließend wissenschaftlich geklärt seien. Auch die europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde (EFSA) kam bereits zum selben Schluss: Aus den Substanzen, die bei dem Verfahren benutzt werden, resultieren keine gesundheitlichen Gefahren für den Verbraucher. Im Gegenteil: möglicherweise könnte es Vorteile bringen, wenn das Verfahren eingesetzt wird. Denn Experten zufolge gibt es ein massives Keimproblem auf deutschem Geflügel. Aber sind die amerikanischen Hühner denn keimärmer? Studien können das nicht belegen. Kritiker des Freihandelsabkommens sehen im Chlorbad für US-Hühner daher nur das Mittel der Wahl, um schlechte Hygienebedingungen in der Tierhaltung zu vertuschen.

Die kritisierte „Chemiekeule“ kommt möglicherweise aber sinnvoll zum Einsatz, wenn sie als ergänzende Maßnahme auf der gesamten Strecke der Verarbeitung betrachtet wird: „Eine chemische Dekontamination kann eine gute Hygienepraxis bei der Aufzucht und Schlachtung von Geflügel nicht ersetzen“, sagt Hensel. „Sie kann nur ein letzter Schritt in einer Kette von Maßnahmen zur Minimierung der Kontamination von Geflügelfleisch mit Erregern wie Salmonellen oder Campylobakter sein“, ergänzt er. Dem Experten zufolge gilt es zu bedenken, dass durch die eingesetzten Mittel auch andere Bakterien auf der Oberfläche des Geflügelfleisches abgetötet werden, die wiederum mit pathogenen Erregern wie Salmonellen oder Campylobakter konkurrieren und deren Wachstum einschränken könnten.

Angela Merkel schmecken die Chlorhühnchen übrigens nicht: In der vergangenen Woche sagte die Kanzlerin in Brüssel, es sei ausgeschlossen, dass es in europäischen Supermärkten künftig Chlorhühnchen aus den USA zu kaufen gebe.

Fallstricke des Freihandelsabkommens

Verhandlung
Seit Juli 2013 verhandeln Europa und Amerika über die sogenannte Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP). Die Hauptziele sind laut Europäischer Kommission Wirtschaftswachstum, die Schaffung von Arbeitsplätzen sowie die Gewährleistung der Wettbewerbsfähigkeit.

Problem
Zwischen den USA und der EU gibt es bei der Lebensmittelproduktion unterschiedliche Hygienestandards, Unterschiede in der Herstellung von Lebensmitteln sowie bei der Kontrolle und der Kennzeichnung.

Ursache
Die Unterschiede sind im europäischen Vorsorgeprinzip (hohe Hygieneanforderung bereits im Schlachtungsprozess) und dem amerikanischen Nachsorgeprinzip begründet. Ein Beispiel: während in Deutschland Hühnchen bisher nur mit heißem Wasser desinfiziert werden dürfen, erlauben die USA die Desinfizierung durch ein Chlorbad.