Agrarminister Alexander Bonde will 66 neue Lebensmittelkontrolleure. Den Kreisen ist das nicht genug. 2010 gab es teils spektakuläre Fälle.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Der neue Verbraucherminister Alexander Bonde (Grüne) will die Schlagkraft der Lebensmittelüberwachung durch mehr Personal stärken. Bei der Vorstellung des Jahresberichts seines Hauses (PDF) konkretisierte Bonde erstmals, wie viele zusätzliche Kontrolleure die grün-rote Regierung einstellen will. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu lediglich allgemein, man werde "die Anzahl der Stellen von Lebensmittelkontrolleuren und Amtstierärzten...anheben". Der Minister spricht nun von mindestens 66 zusätzlichen Stellen, während die zuständigen Stadt- und Landkreise bis zu doppelt so viele für notwendig halten.

 

Nach Angaben des Ressorts gibt es in Baden-Württemberg derzeit 254 Kontrolleure; bis zum Jahresende würden es 288 sein. Bereits die schwarz-gelbe Vorgängerregierung hatte eine Aufstockung um 66 Kontrolleure beschlossen. Diese werden - da sie auf dem Arbeitsmarkt nicht verfügbar sind - derzeit ausgebildet und kommen im nächsten und übernächsten Jahr zum Einsatz. Laut Bonde ist "mindestens" noch einmal die gleiche Zahl an Prüfern notwendig. Sein Haus untersuche gegenwärtig die Kontrollkette und ermittele den Bedarf an Geld und Personal. Die Zusatzstellen seien dann ein wichtiger Punkt bei den Gesprächen mit Finanzministerium und Landtag über den Haushalt 2012.

Landkreistag sieht viel mehr Bedarf

Der Landkreistag sieht derweil einen deutlich höheren Personalbedarf. Eine Untersuchung habe ergeben, dass mehr als 100, wahrscheinlich sogar 120 neue Kontrolleure notwendig seien, sagte ein Verbandssprecher der StZ. Die Stadt- und Landkreise sind seit der Verwaltungsreform von Erwin Teufel (CDU) für die Lebensmittelkontrolle zuständig - eine Verlagerung, die sehr umstritten war. Bonde plant aber nicht, die Verwaltungsreform in diesem Bereich rückgängig zu machen. Man wolle die Verwaltung nicht durch "ständiges Hin und Her" verunsichern.

Laut dem Koalitionsvertrag gibt es in der amtlichen Lebensmittelkontrolle "derzeit große Defizite". Dagegen betonte der neue Agrarminister, die Behörden in Baden-Württemberg leisteten "bereits jetzt gute Arbeit". Dies habe etwa die gute Zusammenarbeit aller Stellen während der Ehec-Krise gezeigt, von der das Land freilich nicht zentral betroffen war. Die Erwartungen der Öffentlichkeit seien aber immens und würden ständig steigen; dem müsse die Politik Rechnung tragen.

1575 Betriebe wurden geschlossen

Nach Bondes Bilanz haben die Kontrolleure im vergangenen Jahr mehr als 94.000 Besuche vorgenommen. Ein gutes Viertel der in Baden-Württemberg registrierten fast 227.000 Betriebe seien ein- oder mehrmals kontrolliert worden, wobei man "risikoorientiert" vorgehe. Soll heißen: gesucht wird gezielt dort, wo Probleme oder Missstände vermutet werden. In 26 Prozent der kontrollierten Betriebe habe es gut 26.000 Verstöße gegeben, 1575 Betriebe seien in der Folge sofort geschlossen worden. Die Quote an Beanstandungen sei damit wie seit Jahren gleichbleibend hoch, resümierte der Minister. Verstöße würde mit Bußgeldern bis zu 20.000 Euro geahndet. Bei der Überwachung von Futtermitteln hätten sich auch 2010 keine besonders gravierenden Befunde im Land ergeben.

Als einen Schwerpunkt im vergangenen Jahr nannte Bonde die Überwachung von Schulen und Kindergärten, die eine warme Mahlzeit anböten; dort gebe es einen hohen Beratungsbedarf. Der hygienische Gesamteindruck sei zwar "überwiegend sehr gut" gewesen, doch die Gestaltung der Speisepläne habe zu wünschen übrig gelassen: der Anteil an Fett im Essen sei deutlich zu hoch, der an ungesättigten Fettsäuren entsprechend zu niedrig gewesen. Aufgrund der zunehmenden Betreuungsangebote werde dieser Bereich für die Lebenskontrolle immer wichtiger.

Hygienemängel an Backautomaten

Ein anderer Trend - der zu Backautomaten in Supermärkten und bei Discountern - beschäftigt die Kontrolleure ebenfalls zunehmend. Sowohl beim Einbau in die bestehende Bausubstanz als auch bei der Eingliederung in die Betriebsabläufe gebe es Probleme. Der hygienisch einwandfreie Umgang mit den Vorprodukten und den Backwaren lasse häufig zu wünschen übrig.

Als wachsendes Tätigkeitsgebiet sehen die Kontrolleure auch den Internethandel. Dort müssten die Verbraucher "vor gesundheitlichen Schäden und Täuschungen" geschützt werden, sagte der zuständige Abteilungsleiter Jürgen Maier.

Fälle aus dem Prüfbericht

Extrascharf Gravierende Folgen hatte der Genuss einer scharfen Chilisauce für einen Verbraucher: Er erlitt einen Kreislaufkollaps und litt zwei Tage lang an Bauchschmerzen und Übelkeit. Auf dem Etikett war zwar vor der Schärfe gewarnt worden, doch wegen des angenehmen Geschmacks und des fehlenden Sicherheitsverschlusses hätten auch Kinder davon probieren wollen, berichteten die Prüfer. Ihr Urteil: gesundheitsschädlich.

Geheimnisvoll Schwere Nebenwirkungen hatte ein Instantkaffee, der im Internet als Schlankheitsmittel angeboten wurde. Bei einer Frau kam es zu Herzrasen, starkem Schwitzen und Pupillenerweiterung. Grund war der Appetitzügler Sibutramin, der sich hinter der „geheimnisvollen Kaffeebohne“ verbarg. Er wurde auch in anderen Getränkepulvern gefunden. Wegen Gesundheitsgefahren zogen die Prüfer den Kaffee aus dem Verkehr.

Eingetrocknet Einen ungewöhnlichen Fund machten die Kontrolleure in einem Asia-Restaurant: Hinter einem Kühlschrank entdeckten sie neben Lebensmittelresten und Fett einen eingetrockneten toten Taschenkrebs. „Offensichtlich war dieser dem Tod unbemerkt von der Schippe gesprungen“ und sei dann in seinem „neuen Biotop“ wegen Wassermangels verendet, wird im Jahresbericht der Prüfer launig formuliert.