Was, Erst- und Zweitklässler werden gemeinsam unterrichtet? Manche Eltern können sich das zunächst gar nicht vorstellen. Diese Skepsis ist allerdings unbegründet. Denn das gemeinsame Lernen macht durchaus Sinn. Das zeigt ein Blick hinter die Kulissen der Leinfelder Schönbuchschule.

Leinfelden-Echterdingen - Bär, Butter, Biene, Baustelle, Benz“: Simon hat gerade sehr gut zugehört. Der Siebenjährige kann nun ganz viele Wörter aufzählen, die mit dem gleichen Buchstaben beginnen. Die Erstklässler der Zebra- und Schmetterlingsklasse haben heute „das große B“ und „das kleine b“gelernt – gemeinsam mit ihrer Lehrerin Kathrin Schminkel. Nun malen die Mädchen und Jungen die runden Buchstaben in ihrem Schreiblernheft nach.

 

Es ist eine besondere Unterrichtsstunde. Normalerweise werden an der Leinfelder Schönbuchschule die Schulanfänger mit den Zweitklässlern gemeinsam unterrichtet. Wenn aber ein neuer Buchstabe auf dem Stundenplan der Jüngeren steht, lernen die Älteren anderen Stoff. Dann gibt es getrennten Unterricht. Auch im Fach Mathematik werden die Schüler zwei Stunden in der Woche getrennt unterrichtet.

Ein Klassenzimmer weiter sitzen zwölf Zweitklässler und acht Erstklässler rund um Tische, auf denen Zeitungspapier ausgelegt ist. Die Mädchen und Jungen tauchen Borstenpinsel abwechselnd in Wasser und bunte Farbe. Kristin Scholz, die Lehrerin, hat der Froschklasse die Aufgabe erteilt, „möglichst viel Clown“ auf ein großes Blatt Papier zu bannen. Das Motiv passt zur Faschingszeit. Alle Kinder sind mit Feuereifer bei der Sache. Auf den kreisrunden gelben Kopf kommt eine schwarze Melone. Unter der runden, roten Nase lacht ein rotweiß umrahmter Mund. Die Unterschiede zwischen Schulanfängern und Kindern, die schon eineinhalb Jahre an der Grundschule sind, verschwimmen.

Das ist alles andere als ein Sparmodell

Jahrgangsübergreifende Eingangsklassen gibt es im Landkreis Esslingen an nur acht von rund hundert Grundschulen . „Das ist kein Sparmodell, sondern das pädagogische Konzept dieser Schulen“, sagt Karin Bogen-Dittrich, die Vizeleiterin des zuständigen Staatlichen Schulamtes Nürtingen. Dieser Unterricht erfordere sogar mehr Ressourcen, klärt sie auf Nachfrage auf. Die Klassen seien kleiner. Das Konzept erfordere vom Kollegium auch viel Kommunikation. Denn manche Eltern stehen dieser Form des Unterrichts zunächst skeptisch gegenüber.

„Kritik seitens der Eltern gibt es meist nur vor der Einschulung“, sagt derweil Schulleiterin Carolin Schüler. Für die Lehrer bedeutet dieser Unterricht Mehrarbeit, macht auch sie deutlich. Schließlich müsse jede Unterrichtsstunde doppelt vorbereitet werden. Es müssen Arbeitsblätter erstellt werden, die auf unterschiedliche Lernniveaus Rücksicht nehmen. Dennoch steht das Kollegium voll hinter dem pädagogischen Konzept. Das hat die Rektorin erst vor kurzem bei den Lehrkräften abgefragt. Sie selbst ist Überzeugungstäterin. „Ich habe lange darüber nachgedacht“, sagt sie. „Es will mir kein Nachteil einfallen.“

Über die Vorteile kann die Schulleiterin derweil eine ganze Stunde lang sprechen. Die Großen zeigen den Kleinen vieles, sagt sie. Jedem Erstklässler wird am Anfang seiner Schulzeit ein Zweitklässler an die Seite gestellt, der sein Pate ist. Die Neuen finden sich so sehr schnell in der Schule und im Klassenverband zurecht.

Zweitklässler als Vorbilder

Die Älteren begleiten die Kleineren mit zur Toilette und auf den Pausenhof. Geltende Regeln und Rituale sind nur für einen Teil der Klasse neu. Die Zweitklässler dienen als Vorbilder für die jüngeren Schüler. „Die Kinder helfen sich gegenseitig, lernen aufeinander Rücksicht zu nehmen“, sagt Schüler. Und diese Sozialkompetenz sei eine der wichtigsten Kompetenzen, die Kinder für ihr Leben brauchen. „Die Schüler haben auch eine ganz tolle Arbeitseinstellung“, schwärmt sie. Und setzt nach: „Alle werden mitgezogen.“

In jeder Klasse gebe es Kinder, die schnell lernen, gut mitkommen und andere, die etwas länger brauchen. Während in einer Regelklasse die Stärkeren sehr schnell an den Schwächeren vorbeiziehen, läuft dies in den Eingangsklassen der Schönbuchschule anders ab. „Schwächere Zweitklässler können bei den Erstklässlern mitmachen, laufen dabei in der Gruppe mit und stehen vor den besseren Schülern nicht schlecht da“, sagt Schüler.

Starke Schulanfänger dagegen langweilen sich nicht, denn sie können bereits Dinge bearbeiten, die eigentlich für Zweitklässler vorgesehen sind. In den Eingangsklassen gibt es beispielsweise Bücher für Leseanfänger und auch schon für bessere Leser, erklärt Lehrerin Kathrin Schminkel. „Die Kleinen können sich auch die Bücher der Großen nehmen und umgekehrt“, sagt sie. Das Gleiche gelte für die Arbeitsblätter. Sachthemen, wie das Gebiss oder die Jahreszeiten werden auf zwei Jahre aufgeteilt.

Die Paten helfen beim Schreiben und Rechnen

Simon hat mittlerweile seine „B, b“ fertig nachgemalt. Dass in seiner Klasse auch viele Zweitklässler sitzen, findet der Erstklässler richtig gut. „Ich hatte erst Schwierigkeiten beim Schreiben“, sagt er. Noël, sein Pate, hat ihm dann geholfen. Jetzt klappt es prima. Bei Liliana, die gerade neben Simon sitzt, war es ähnlich. Ihre Patin hat ihr gezeigt, wie sie sich beim Rechnen leichter tut. Die sechsjährige Nikita aus der Froschklasse sagt: „Meine Patin hat mir geholfen, eine Zahl weiterzuschreiben.“

Die Jüngeren fiebern schon jetzt dem Zeitpunkt entgegen, an dem sie selbst Pate oder Patin werden dürfen. „Die Kinder sind zunächst Lernende und dann Lehrende“, sagt Schulleiterin Schüler. Sie will dies nicht falsch verstanden wissen: „Wir setzen die Kinder nicht als Lehrer ein.“ Einige Aufgaben aber könnten sie schon übernehmen. Das stärke das Selbstbewusstsein.