Berufspendler und Polizisten ärgern sich über die Aktion der Letzten Generation, bei der sich zwei Aktivisten auf der Fahrbahn festkleben.

Dunkel ist es an diesem Donnerstag gegen 7.30 Uhr. Noch fließt der Berufsverkehr auf der B 27 durch Ludwigsburg, doch dann geht alles blitzschnell. Die Fußgängerampel am Forum springt auf Grün, schnell postieren sich fünf Männer auf die Straßenseite in Richtung Stuttgart und stellen sich der Blechlawine entgegen. Sofort setzt Gehupe ein – es soll nicht der einzige Protest gegen die Demonstranten der Letzten Generation bleiben.

 

Zum ersten Mal werden die Klimaschützer im Kreis Ludwigsburg aktiv und wollen den Verkehr an einer wichtigen Stelle lahmlegen. Zu wenig unternehme die Politik, die vereinbarten Ziele der internationalen Klimakonferenzen zu erreichen, meinen auch Teilnehmer der Gruppe, die den Auftritt der fünf Männer auf einer der meistbefahrenen Bundesstraßen der Region Stuttgart begleiten. Aber rechtfertigt das Ziel auch die Wahl der Mittel? Darüber wird inzwischen bundesweit diskutiert. Insbesondere die Vorsätzlichkeit, mit der im Namen des Klimaschutzes und des gewaltfreien Widerstands etwa Kunstwerke beschmiert oder andere Straftaten begangen werden, hat die Sympathie in der Bevölkerung für die Klimakleber sinken lassen.

Offene Ablehnung schlägt den Aktivisten an diesem Morgen in Ludwigsburg von Autofahrern entgegen. Einige springen wütend aus ihrem Wagen und beschimpfen die Blockierer. „Wir müssen arbeiten, geht auch ihr arbeiten“, ruft einer, reißt den Demonstranten die Transparente aus den Händen und schleudert sie zu Boden. Einer der Autofahrer erklärt, er müsse Patienten besuchen. In der Ferne hört man noch öfter Hupen – wahrscheinlich wissen die meisten der im Stau Stehenden gar nicht, was sich Hunderte von Metern vor ihnen abspielt und warum sie diesmal noch länger als sonst auf dem Weg zur Arbeit ausharren müssen.

Nach etwa zehn Minuten trifft die Polizei ein. Die Beamten fackeln nicht lange und tragen die auf dem Boden kauernden Demonstranten weg. „Gehst du freiwillig mit?“, fragt einer der Polizisten. Doch die meisten der Sitzenden weigern sich und lassen sich wegtragen, um wenig später unsanft auf dem Schneematsch des Fußgängerwegs zu landen. „Nicht wieder zurückkommen!“, schärft einer der Beamten seinem Gegenüber ein. Doch dann versucht es ein Aktivist ein zweites Mal. Er wird gestellt, bevor der Sekundenkleber auf der nassen Fahrbahn wirkt, und muss seine Personalien angeben. Ein Polizist sagt offen seine Meinung: „Es gibt auch Leute, die sich für den Klimaschutz einsetzen und nicht so einen Scheiß bauen.“ Einen älteren Demonstranten weist er zurecht: Die blockierten Autofahrer wollten zur Arbeit – sie sicherten auch seine Rente.

Zu der Aktivisten gehört auch Markus Ott, Sprecher der Letzten Generation. Der Ludwigsburger Student war erst vor wenigen Tagen wegen versuchter Nötigung vom Stuttgarter Amtsgericht zu 60 Tagessätzen verurteilt worden. Er hatte im Mai mit Gleichgesinnten die B 27 bei Degerloch und im Juni die Schillerstraße vor dem Hauptbahnhof blockiert. Trotz negativer Stimmung hofft Ott auf einen Langzeiteffekt, auch die Anti-AKW-Bewegung habe klein angefangen und am Anfang nur wenig Zustimmung erhalten: „Die heute im Stau stehen, diskutieren beim Abendessen mit ihren Familien.“ Was er konkret von Politikern verlange, um lösungsorientiert Vorschläge zu bringen? „Tempo 100 auf Autobahnen und ein 9-Euro-Ticket für den ÖPNV wären Beschlüsse, die man schnell auf den Weg bringen könnte.“ Mut machten ihm Solidarisierungen wie etwa die der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Bayern.

Solidarisch mit Ott und seinen Mitstreitern zeigt sich die Lehrerin Nora Oehmichen, die sich als Bundesvorsitzende von Teachers for Future für das Erreichen von Klimaschutzzielen engagiert. Sie ist beunruhigt über die zunehmende Aggressivität gegenüber der Letzten Generation, nicht zuletzt durch Razzien und den Verdacht, eine kriminelle Gemeinschaft zu bilden. Ein älterer Demonstrant beklagt einen veränderten Umgang mit seiner Gruppe: „Vor drei Monaten haben uns Polizisten freundlich gefragt, ob es uns gut geht – da waren wir an der Autobahn bei Zuffenhausen.“

Die Polizei habe sich auf einen solchen Einsatz vorbereitet, sagt André Kielnecker, Sprecher des Polizeipräsidiums Ludwigsburg. Es würden wohl Strafverfahren wegen Nötigung oder versuchter Nötigung eingeleitet. Um 8.30 Uhr löst die Polizei die Versammlung auf. Sie nimmt einige Personen, die nicht weggehen wollen, in ihre Obhut. Um diese Zeit klebt der verbliebene Aktivist immer noch mit der Hand auf der Fahrbahn. Der Verkehr fließt um ihn herum.

Was ist die Letzte Generation?

Ziel
 Letzte Generation ist ein Bündnis von Aktivisten aus der Umweltschutzbewegung mit dem erklärten Ziel, durch Mittel des zivilen Ungehorsams Maßnahmen der deutschen und der österreichischen Bundesregierung gegen die Klimakrise zu erzwingen.

Ursprung Das Bündnis bildete sich 2021 aus Teilnehmern eines Hungerstreiks. Ihre Anfang 2022 einsetzenden Aktionen bezeichnen die Aktivisten als Aufstand der Letzten Generation. Der Begriff wurde von ihnen gewählt, weil die Überschreitung von Kippelementen im Erdklimasystem drohe und sie der letzten Generation angehörten, die noch in der Lage sei, einen Klimakollaps aufzuhalten.

Gruppe
 Die Stuttgarter Gruppe hat etwa 40 Mitglieder, teilte der Sprecher Markus Ott mit.