Der Abrechnungsskandal um die Behandlung von fast 400 libyschen Kriegsversehrten und ein Minus von 9,5 Millionen Euro beschäftigen jetzt auch die Steuerfahndung. Sie hat am Dienstag das Klinikum und die Wohnung eines externen Beraters durchsucht und Unterlagen beschlagnahmt.

Stuttgart - Der Skandal um die Abrechnung der privatärztlichen Behandlungen von fast 400 libyschen Kriegsversehrten im Klinikum Stuttgart hat nach der Staatsanwaltschaft nun auch die Steuerfahndung alarmiert. Die Stadt Stuttgart als Trägerin des Klinikums hat Informationen der Stuttgarter Zeitung bestätigt, wonach das Finanzamt Stuttgart II am Dienstag die Räume der Abteilung International Unit (IU) durchsucht hat. Es gehe um den Verdacht der Umsatzsteuerhinterziehung im Zusammenhang mit Leistungen im nicht-medizinischen Bereich der IU. Die Behörde hatte der Stadt am Morgen den Durchsuchungsbeschluss eröffnet. Es wurde eine „vollständige Kooperation zugesichert“.

 

Auch der externe Berater erhält „Besuch“

Die Steuerfahndung schaute auch bei Nabel Abu-Rikab vorbei. Der Ludwigsburger mit palästinensischen Wurzeln war vom Klinikum für die Zeit zwischen Mai 2013 und Ende 2014 als Dolmetscher und Betreuer der Patienten verpflichtet worden; außerdem war er für die Abrechnung dieser „nicht-medizinischen“ Regiekosten zuständig. Normalerweise versorgen arabische Staaten ihre Bürger während des Auslandsaufenthalt direkt. Dieses Mal hat sich das Klinikum darauf eingelassen, gegen Vorkasse Essens- und Taschengeld sowie Geld für Kleiderreinigung auszubezahlen, Hotels und Rückflüge zu buchen sowie VVS-Tickets zu kaufen. Hohe sechsstellige Summen wanderten vom Klinikum auf sein Konto, wurden bar abgehoben und im Koffer nach seiner Aussage an die Verwalter des Kriegsversehrtenkomitees übergeben – gegen Quittung. Abu-Rikab, derzeit für das Klinikum in Kuwait, um ein ebenfalls vom Rechnungsprüfungsamt kritisiertes Projekt zur Beratung einer orthopädischen Klinik in trockenen Tüchern zu halten, sagte auf StZ-Anfrage, seine Frau habe ihn informiert, dass seine Wohnung und die seiner Eltern durchsucht worden seien.

Die Beamten hätten gesagt, er dürfe sich als Zeuge gegen den Leiter der IU betrachten, nicht als Beschuldigten. Der Leiter des Finanzamts Stuttgart II, Klaus Siebrand, sagte mit Verweis auf das Steuergeheimnis, er dürfe zu diesem Vorgang nichts sagen. Abu-Rikab erklärte dagegen, es seien viele Unterlagen einkassiert worden, außerdem das Handy seiner Frau und sogar die Computer der Kinder.

Hat die Staatsanwaltschaft kein Interesse an Beweisen?

Das entscheidende Gerät befindet sich allerdings derzeit in Kuwait. „Man hat mir ausrichten lassen, ich solle mein Laptop nach meiner Rückkehr am Wochenende vorbeibringen“, berichtete Abu-Rikab. In der Zeit könnte er natürlich wichtige Dateien löschen. Der ehemalige Arbeiter in der Daimler-Gießerei, der dank seiner Sprachkenntnisse seit Jahren betuchte kuwaitische Privatpatienten betreut, die am Klinikum behandelt werden, ist nach eigener Aussage aber nicht an der Vernichtung von Belegen interessiert, sondern an deren Verwertung durch die Behörden. Um Klarheit in den Abrechnungsskandal zu bringen, der die kurzfristige Trennung von Klinikums-Chef Ralf-Jochen Schmitz beschleunigt hat, und um seine Unschuld zu beweisen, hatte Abu-Rikab nach der Veröffentlichung in der StZ seine Unterlagen zuerst dem Rechnungsprüfungsamt angeboten, das in seinem Bericht für den Gemeinderat auf die Umsatzsteuerproblematik hingewiesen hatte. Nachdem bekannt geworden war, dass die Staatsanwaltschaft ermittelt, habe er sich dort gemeldet. Dies sei aber abgelehnt worden. Gerüchte, es werde bundesweit ermittelt, ließen ihn unbeeindruckt, so der Betroffene. „Ich war nur Partner des Klinikums Stuttgart.“

Die Steuerfahndung habe auch jene Belege mitgenommen, die in seinem Insolvenzverfahren von Belang sind: Nachdem das Klinikum anstandslos 2,2 Millionen Euro an Abu-Rikab ausbezahlt hat, damit die überwiegend in Hotels wohnenden ambulant behandelten Patienten in Restaurants Essen und mit 70 Euro Taschengeld pro Tag versorgt waren, behauptet es nun über ihren Anwalt, ihr Partner sei dazu gar nicht berechtigt gewesen. Das Klinikum strebt an, eine Restforderung Abu-Rikabs in Höhe von rund 700 000 Euro Honorar zu verrechnen. Außerdem wirft ihm das Haus vor, er habe es bei der Bestellung von Visa und der Abrechnung von VVS-Tickets geschädigt. „Auch diese Belege wurden mitgenommen“, sagt der Betroffene. „Gott sei Dank hat meine Frau alles kopieren dürfen.“ Die Unterlagen seien seine Lebensversicherung. Die Forderungen beliefen sich immerhin auf 3,2 Millionen Euro.

Nachlässige Buchführung in der „International Unit“?

Unterlagen und Mailverkehr offenbaren einen nachlässigen Umgang in der Abteilung IU bei der Abwicklung der Betreuungskosten. Das führte dazu, dass der Aufwand für Behandlung, Kost, Logis und Transport plötzlich um 9,5 Millionen Euro höher lag als die geleistete Anzahlung der libyschen Botschaft in Höhe von 19 Millionen Euro. Der damals wieder aufgeflammte Bürgerkrieg in Libyen sorgte dafür, dass die Geldquelle versiegte.

Das tatsächliche Ausmaß des Defizits ist aber noch strittig. Der mittlerweile verstorbene Botschafter Senussi A.Y. Kwideer hatte in anderen Fällen behauptet, deutsche Kliniken hätten weit überhöhte Rechnungen gestellt. Ob in Stuttgart der Schaden nur deshalb so hoch ausfällt, weil die Rechnungen für Chefarztaufenthalt und stationären Aufenthalt unangemessen hoch waren, könnte am besten eine neutrale Abrechnungsstelle ermitteln. Dafür müssten alle Posten in den Patientenakten auf ihre Angemessenheit geprüft werden. Der Abschlussbericht der Rechnungsprüfer darf auf Geheiß der Staatsanwaltschaft im Gemeinderat nicht präsentiert werden. So lange steht im Raum, dass das Ausmaß des Skandals mit dem Verdacht auf bloße Hinterziehung von Umsatzsteuer nur unzureichend beschrieben sein könnte.