Kalt, gruselig, verlassen: Im Kreis Böblingen gibt es Orte, an die kaum mehr jemand kommt. Wir schlagen uns durchs Gestrüpp und finden einen Fleck, von dem nur wenige wissen. Unsere Serie über Lost Places in der Region

Es ist ein unscheinbarer Weg, der zu dem verlassenen Ort führt, den wohl nur wenige Menschen im Schönbuch kennen. Vom Weg aus ist es kaum zu erkennen – erst wenn man direkt davorsteht, zeigt sich das verlassene Häuschen, das in einen Hang hineingebaut wurde. Schönbuchführer Roland Bengel wurde vor einiger Zeit von einem Bekannten auf das Gemäuer aufmerksam gemacht. Fast wie ein alter Bunker sieht es aus. Nach der Recherche des Schönbuchführers handelt es sich um einen Keller, der früher zur Lagerung von Rüben zur Fütterung des Rotwilds benutzt wurde. Heute wird er nicht mehr benutzt und ist über die Jahre in eine unheimlich-gespenstische Verwahrlosung gefallen.

 

Die bereits in sich zusammengefallene Futterhütte beim Ilgenloch ist ein erster Hinweis, was sich in rund 200 Meter Entfernung versteckt. Brombeergestrüpp hat sich auf dem Weg bereits breit gemacht, der einen Hang hinunterführt. Vom Weg aus ist der Keller nicht zu sehen. Die Natur hat ihn schon beinahe verschluckt: Das Dach ist überwachsen mit Moos und begraben unter dem Laub des vergangenen Herbstes. Kurz vor einem Hochsitz ist der Keller linker Hand in die Erde eingebaut. Selbst der Schönbuch-Kenner Roland Bengel hat mehrere Versuche benötigt, um das Gebäude zu finden. Der Holzverschlag vor dem Eingang zu dem kleinen Gebäude hängt spukig-gruselig in den Angeln – es ist klar, dass hier schon länger niemand mehr war. Lediglich durch ein kleines Fenster strahlt Tageslicht in den verlassenen Keller, in dem jetzt nur noch Dachziegel lagern.

Nur durch ein kleines Fenster dringt Tageslicht in den Raum. Foto: Stefanie Schlecht

Handelt es sich etwa um einen Bunker?

Als Roland Bengel den Keller entdeckte, ging er zunächst der Vermutung nach, dass das Gebäude zur NS-Zeit als eine Art Bunker oder Unterschlupf für Soldaten benutzt wurde. Nach einiger Recherche und Nachfragen unter anderem beim ehemaligen Forstpräsidenten Fritz-Eberhard Griesinger stellte sich allerdings heraus, dass der Keller wohl in den 50er Jahren zur Lagerung von Rüben und dergleichen benutzt wurde, damit die nahe liegende Futterstelle bestückt werden konnte. Trotzdem erinnert der dunkle, kalte Raum an einen Bunker: Mit seinen kahlen, feuchten Wände und dem spärlichen Tageslicht hätte der Keller gut als Versteck taugen können.

Früher wurde Rotwild im Winter viel gefüttert

Stattdessen wurde in dem verlassenen Raum mitten im Schönbuch in den vergangenen Jahrzehnten das Rotwild mit Futter gesorgt. Damals wurde noch eine ganz andere Philosophie vertreten als heute: Es herrschte der Gedanke vor, dass die „armen Tiere“ im Winter geschützt werden und mit Fressen versorgt werden müssen, erklärt Roland Bengel. Nach Jahren der Forschung ist der heutige Wissensstand ein anderer. Vor allem die Forschungsergebnisse des Professors Walter Arnold, der Universitätsprofessor für Wildtierkunde an der Veterinärmedizinischen Universität Wien und Leiter des Forschungsinstitutes für Wildtierkunde und Ökologie ist, haben hier viel bewirkt, weiß Roland Bengel. Es stellt sich nämlich heraus, dass das Rotwild zwar keinen Winterschlaf macht, aber seinen Stoffwechsel an die kalte Jahreszeit anpasst. „Die Körperfunktionen werden komplett heruntergefahren, sogar die Organe werden kleiner“, erklärt Roland Bengel. Das bedeutet wiederum, dass die Tiere auch nicht so viel zu fressen brauchen wie in warmen Monaten. Ein Rübenkeller – so wie unser Lost Place im Schönbuch – hat deshalb über die Jahre seine Funktion verloren und ist nach und nach in Vergessenheit geraten.

In den Hang hineingebaut, ist der Keller von weitem kaum erkennbar. Foto: Stefanie Schlecht

Weil das Rotwild im Winter seine Körperfunktionen herunterfährt, sei es vor allem wichtig, dass die Tiere Ruhe hätten, erklärt Roland Bengel. Wenn Wanderer, Radfahrer oder Waldbesucher die Tiere in den kalten Monaten aufscheuchen würden, verbrauchen sie mehr Energie als sie zur Verfügung haben.

Schauerlich-schön: Dass sich unter der Moosdecke ein Keller befindet, hätte wohl niemand gedacht. /Stefanie Schlecht

„Von einer Fledermaus angefallen, wurde ich hier noch nie“, sagt Roland Bengel scherzhaft, als er in den Keller tritt. Und es bleibt tatsächlich alles ruhig – nicht mal ein Mäuschen wuselt über den Boden. Zwar lässt einen der Blick in den Keller gruseln, beim Blick hinaus auf den Schönbuch kommt man allerdings ins Staunen. Weit ist die Sicht hinaus über die Baumwipfel. In einem Luftlinienkilometer Entfernung gibt es eine weitere Sehenswürdigkeit, die Waldbesucher erfreuen könnte: Die Tscherninghütte, die nach dem Leiter des königlichen Forstamts Bebenhausen, Friedrich August Tscherning, benannt ist. Rund eine Viertelstunde mit dem Fahrrad von dem verlassenen Keller entfernt, steht die Steinhütte auf einer Lichtung. 1847 erbaut, soll sie laut Roland Bengel einigen von Tschernings Professorenkollegen in der Revolutionszeit 1848/49 als Versteck gedient haben. So hat der gruselige Rübenkeller also keine aufsehenerregende Ursprungsgeschichte, die ganz in der Nähe gelegene Tscherninghütte dagegen schon. Jetzt zur Weihnachtszeit ist sie schön festlich geschmückt mit Kerzen und Reisig, sodass sich ein Besuch auf jeden Fall lohnt – selbst für die, die den versteckten Rübenkeller nicht finden sollten.

Geheimnisvolle Orte in der Region

Lost Places
Der Begriff beschreibt verlassene Orte, oftmals handelt es sich um aufgegebene, dem Verfall überlassene Gebäude. Nicht immer haben diese historische Bedeutung. Gemein ist ihnen jedoch ihre geheimnisvolle Aura. Die Bezeichnung Lost Places ist ein Pseudoanglizismus, der sich im deutschsprachigen Raum etabliert hat.

Serie
In loser Folge stellen wir in den kommenden Wochen Lost Places in der Region vor, erzählen ihre Geschichte und dokumentieren fotografisch ihr morbides Ambiente. Manche dieser Orte sind offen sichtbar, andere verfallen – teils seit Jahrzehnten – unbemerkt von der Öffentlichkeit.