Andreas Renschler hat das Rennen um den Spitzenposten beim Stuttgarter Autokonzern Daimler überraschend aufgegeben. Vielleicht hat er dem Vorstandschef Dieter Zetsche zu oft widersprochen.

Stuttgart - Für nächsten Dienstag steht ein wichtiger Termin im Kalender von Andreas Renschler. Im Werk Bremen läuft die Produktion der neuen C-Klasse von Mercedes-Benz an. Die C-Klasse muss ein Erfolg werden, denn von keiner Baureihe der Marke mit dem Stern werden mehr Wagen verkauft. Im Rennen mit Audi und BMW um die weltweite Spitzenposition unter den Premiumherstellern will der Stuttgart Autobauer die Produktion der neuen C-Klasse so schnell wie noch nie hochfahren – weltweit.

 

Doch die große Feier in Bremen wird ohne Renschler stattfinden müssen, der die Hauptrolle spielen sollte. Nun soll Personalvorstand Wilfried Porth einspringen, denn der Produktionschef von Mercedes-Benz hat seinen Job Knall auf Fall aufgegeben, wie Daimler überraschend am Dienstagabend um acht Uhr abends mitteilte. Renschler hatte seine Pläne gut verborgen. Auf der Automesse in Detroit erkannten Journalisten noch keine Zeichen von Amtsmüdigkeit. Selbst langjährige Weggefährten aus dem engeren Führungszirkel erfuhren erst am Dienstagvormittag von seinem Abgang. „Ich bin aus allen Wolken gefallen“, berichtet eine Daimler-Mitarbeiterin am Abend kurz nach der offiziellen Bekanntgabe der brisanten Personalie.

Als Chef der Nutzfahrzeugsparte hat er sich wohl gefühlt. Foto: Steinert

In einem Brief an die Mitarbeiter betonte Daimler-Chef Dieter Zetsche gestern, dass die Trennung wirklich „in gegenseitigem Einvernehmen“ erfolgt sei, was gemeinhin als übliche Floskel gilt, mit der oft Zerwürfnisse kaschiert werden. „In diesem Fall stimmt es“, versicherte Zetsche und fügte hinzu: „Ich respektiere seinen Entschluss, aber ich bedauere ihn auch.“ Andreas Renschler habe Wichtiges für Daimler geleistet. „Wir danken ihm nachdrücklich und wünschen ihm alles Gute für die Zukunft.“ Mancher intime Kenner nimmt Zetsche dieses Bedauern indes nicht ganz ab. „Die beiden waren wie Hund und Katze“, berichtet ein Insider. Renschler sei einer der wenigen Vorstände gewesen, die Zetsche in den Sitzungen des Führungsgremiums Kontra gegeben hätten. Der Daimler-Chef, so der Insider weiter, werde nun wohl auch froh sein, dass einer der Kandidaten für seine Nachfolge aus dem Rennen sei und er seinen Freund und Favoriten Wolfgang Bernhard besser in die Spitzenposition manövrieren könne.

Das „Wall Street Journal“ veröffentlichte gestern ein angebliches Interview mit Renschler, das den Eindruck erweckt, der langjährige Daimler-Manager habe sich im Rennen um die Zetsche-Nachfolge in einer schlechten Ausgangsposition gesehen und die Perspektive, nur Produktionschef zu sein, habe ihm nicht behagt. „Wenn Dieter sechs weitere Jahre Daimler-Chef bleiben will, wäre ich in meinem Job nicht glücklich“, schreibt das US-Wirtschaftsblatt. Doch Daimler dementierte prompt. Der Reporter des „Wall Street Journal“ habe ein Interview, das er bereits auf der Autoshow in Detroit geführt habe, nun aus aktuellem Anlass verwertet. Die Zitate seien indes nicht korrekt.

Der Rollentausch mit Bernhard war der Knackpunkt

Mancher indes hatte es schon als Degradierung empfunden, als Renschler vor einem Jahr seine Position als Chef der Nutzfahrzeugsparte auf Druck der Arbeitnehmerseite mit Wolfgang Bernhard tauschen musste, die mit Bernhard unzufrieden war und ihn abschießen wollte. „Als Nutzfahrzeugchef hatte sich Renschler sehr wohlgefühlt“, sagt Willi Diez. Der Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen und Leiter des Instituts für Automobilwirtschaft war vor der wissenschaftlichen Karriere zusammen mit Renschler eine aufstrebende Nachwuchskraft bei Daimler.

Renschler ist als Bauernsohn in Ditzingen geboren, machte zunächst eine Lehre als Bankkaufmann, erwarb in Esslingen einen Abschluss als Wirtschaftsingenieur, studierte dann in Tübingen Betriebswirtschaft und stieg 1988 bei Daimler ein. „Renschler war sehr ehrgeizig“, erinnert sich Diez. Er wurde Assistent von Mercedes-Chef Werner Niefer – eine Position, die gemeinhin als Karrieresprungbrett gilt. Der junge Daimler-Manager rackerte unermüdlich und nutzte jede Minute für eine Mütze Schlaf – wie etwa auf Langstreckenflügen zu fernab gelegenen Teststrecken.

Da schien die Welt noch in Ordnung: Renschler und Zetsche 2011 bei der Hauptversammlung. Foto: dpa

Seine große Chance sah Renschler, als er den Auftrag erhielt, für Mercedes-Benz neues Terrain zu erobern. Er sollte mit einem kleinen Team das Konzept für den Geländewagen M-Klasse entwickeln und zugleich für dieses Pilotprojekt einen geeigneten Standort für eine Fabrik in den USA auskundschaften. Das Projekt barg ein hohes Risiko: neues Modell, neue Fabrik, neue Mannschaft. Doch Renschler hatte Mumm. Nachdem er das Konzept entwickelt habe, wolle er es auch umsetzen, schlug Renschler dem damaligen Mercedes-Chef Helmut Werner vor. Und Werner traute ihm das zu. „Das war eine mutige Entscheidung“, meint Renschlers ehemaliger Kollege Diez. Es wurde sein Meisterstück und zugleich der Beweis, dass er schwierige Aufgaben bewältigen kann.

Fortan galt er bei Daimler als der richtige Mann für heikle Fälle, wobei sich manche Aufgabe auch als „mission impossible“ erwies. Ende der neunziger Jahre sollte der Krisenmanager die schlingernde Kleinwagentochter Smart auf Gewinnkurs bringen. Die Modellpalette wurde ausgeweitet, zum Zweisitzer gesellte sich ein Roadster und ein Viersitzer, der wiederum eine Pionierleistung war, denn es war das erste Projekt einer engen Verzahnung mit dem japanischen Autobauer Mitsubishi. Der Smart Forfour wurde gemeinsam mit dem Colt von Mitsubishi entwickelt. Für Renschler brachte dies ganz neue interkulturelle Erfahrung bei gemeinsamen Bierzeltbesuchen auf dem Cannstatter Wasen und viele Stunden im Flugzeug. Als die Beteiligung von Daimler bei Mitsubishi 2004 Spitz auf Knopf stand, leitete der ruhelose Kettenraucher ein kleines Team von Spezialisten, das den japanischen Allianzpartner gründlich unter die Lupe nehmen und womöglich einen Rettungsplan erarbeiten sollte.

In der Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat knirscht es

Renschler wurde damals vorübergehend ebenso wie Wolfgang Bernhard als Nachfolger von „Mister Mercedes“ Jürgen Hubbert gehandelt. Doch dann kam alles ganz anders. Renschler wurde Nutzfahrzeugchef, und Bernhard, der eigentlich Mercedes-Chef werden sollte, flog nach einem großen Krach aus dem Unternehmen. Zudem stieg Daimler 2005 bei Mitsubishi aus.

Bernhard legte danach ein Intermezzo bei VW ein und kehrte zu Daimler zurück. In der Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat knirscht es jedoch bis heute. Das Verhältnis zu Betriebsratschef Erich Klemm, der allerdings bald von Michael Brecht abgelöst wird, gilt als zerrüttet. Mit Renschler, so hört man im Kreis der Arbeitnehmervertreter, seien sowohl Klemm als auch Brecht stets gut klargekommen. Renschler fahre zwar auch einen Sparkurs, habe aber andere Umgangsformen. Damit ist weniger der kumpelhafte Auftritt und der kräftige Händedruck des Zweimetermannes gemeint, wie ein Betriebsrat an einem Beispiel veranschaulicht. Renschler sei vor einiger Zeit zu einer Klausur von Betriebsräten in Sindelfingen gekommen – allein und ohne Assistenten. Er habe sich hingesetzt und zugehört. Man habe miteinander geredet, und die Betriebsräte hätten die Chance bekommen, dem Produktionschef einen Überblick zu geben. „Mit Bernhard“, so der Betriebsrat, „gab es das nie.“