Köln - „Das ist das erste wirklich Interessante, was ich hier auf der Kölner Möbelmesse sehe“, sagt eine Dame zu ihrer Begleiterin, als sie am Stand von Midgard haltmacht. Sie nestelt an einem Verstellring an einem biegsamen Fiberglasstab und dem orangerot ummantelten Kabel, mit dem man die Neigung der Leuchte leicht verändert.
Das schwarze Gebilde mit schwenkbarem Leuchtenschirm steckt in einem flachen Leuchtenfuß. Fast wie ein fragiles Mobile von Alexander Calder wirken die Steh- und Tischleuchten. Sie stammen von Stefan Diez und Lina Fischer von Diez Office. Es ist der erste neue Leuchtenentwurf für die 1919 in Thüringen gegründete Firma seit rund 70 Jahren.
„Nach so langer Zeit“, sagt der Designer, „muss man alles infrage stellen.“ Stefan Diez, der in Stuttgart Industriedesign studiert hat, hat die Archive studiert, spricht von den Besonderheiten der schweren, stabilen, schwenkbaren Traditionsleuchte, die auch von Bauhaus-Vertretern geschätzt wurde, und sagt, was er neu interpretiert hat. „Im Sommer beim Baden fiel mir die Idee von einem Grashalm ein, der sich im Wind bewegt“, sagt Diez.
Die Leuchte „Ayno“ wird in Deutschland produziert
So sei das Konzept entstanden – Schwenkbarkeit und Flexibilität der alten Modelle zu übernehmen, aber in eine minimalistisch poetische Leichtigkeit zu übersetzen und mit modernder LED-Technik zu kombinieren. Weil Nachhaltigkeit für die heute in Hamburg ansässige und in Deutschland produzierende Firma wichtig ist, sind einzelne Teile leicht auseinanderzunehmen und, sollte sich irgendwann Verschleiß einstellen, auszutauschen.
Midgard gelingt mit der Neuheit ein Coup. Erfolgreiche Archivarbeit betreibt auch e15. Die Firma schaut zurück und findet gutes, fast vergessenes Altes. Sie bringt einen Stuhl und einen Teppich neu auf den Markt, vom Stuttgarter Architekten und einflussreichen Vertreter des Stuttgarter Werkbunds Richard Herre im Jahr 1926 entworfen, weshalb der Stuhl jetzt folgerichtig „Stuttgart“ heißt.
Was Neuheiten betrifft, wirken die Hersteller auf der bis Sonntag fürs Publikum geöffneten internationalen Messe für Wohnkonzepte insgesamt allerdings eher verzagt. Die Dame am Stand des italienischen Herstellers Magis etwa belehrt die Messebesucher, dass man weitgehend auf Neues verzichte, und zeigt einen Stuhlklassiker von Konstantin Grcic in blau gefärbtem Sitzgestell.
Möbelhersteller setzen auf Bewährtes
Als fürchte man schon die nächste Wirtschaftskrise, setzt man oft auf Bewährtes, werden erfolgreiche Reihen einfach variiert. Mal gesellt sich zu einem Beistelltisch wie dem „Bell Table“ des aus Bad-Mergentheim stammenden Designers Sebastian Herkner für ClassiCon ein mondäner Esstisch in Rauchgrau und Schwarz und Messing. Mal bekommen Relaxliegen von Woud und Knoll etwa nur eine neue Farbe bei der Sitzauflage. Und für diejenigen, die besonders viel Geld ausgeben wollen, stehen exklusive Sondereditionen bereit, Knoll International bringt den „Wassily Chair“ von Marcel Breuer mit einem Gestell aus glamourös wirkendem dunklen Stahlrohr unter betuchte Leute.
Die Firma Bretz feiert ihren 125. Geburtstag mit einer Spezialedition eines Sessels „Johann“ aus den 50er Jahren. Und liegt damit doppelt im Trend. Es wird gelümmelt, gelegen, geruht wie selten – auf Liegelandschaften (Ligne Roset), Schaukeln (Freifrau), Ohrensesseln (fast jede Firma) in beruhigend wirkenden gedeckten, dunklen Farbtönen, gerade als hätten die Designer und Messestandgestalter sich von Mörikes Gedichtzeilen „Lass, o Welt, o lass mich sein!“ inspirieren lassen.
Nachhaltig produzierte Möbel
Offenbar haben Käuferanalysen ergeben, dass der auf Selbstoptimierung und Multitasking konditionierte, flexibel die Jobs wechselnde Mensch in seinem dauerprovisorischen Daheim vor allem eins will: seine Ruhe, nichts sehen, nichts hören.
Und zwar drinnen wie draußen. Firmen wie der italienische Möbelhersteller Cassina investieren prominent ins Draußengewerbe und engagieren Designstars wie Patricia Urquiola und Philippe Starck für prächtige Couches und kreisrunde Liegen mit Baldachin für erschöpfte Werktätige.
Gerne wird dann auch noch damit geworben, dass man all dies in Europa produziert und nachhaltiges, rasch nachwachsendes oder recyceltes Material verwendet, denn auch die Generation Greta (und ihre Eltern) will sich zwischendurch einmal guten Gewissens vom Weltretten ausruhen.
Info zur Möbelmesse Köln
Die internationale Möbelmesse in Köln zeigen über 1200 Aussteller aus 50 Ländern ihre schönsten und neuen Möbel und Einrichtungstrends. Die Messe hat für das Publikum noch bis zum 19. Januar geöffnet, am Samstag von 10 bis 18 Uhr, am Sonntag von 10 bis 17 Uhr .
Erstmals kann auf der Messe auch eingekauft werden, das Designfest in Halle 2.1 richtet sich an jüngere Kunden und bietet Neues zu den Themen Möbel, Design, Accessoires und Lifestyle, das auch erworben werden kann. Das äußere Erscheinungsbild des an die Messe angegliederten Designfestes haben die Designer Marcel Besau und Eva Marguerre gestaltet, die in Karlsruhe Design studiert haben und heute ein erfolgreiches Designstudio in Hamburg leiten.