Mehr als eintausend Hästräger und geschätzt 4000 Zuschauer bevölkern während des Murrhardter Nachtumzug der lokalen Narrenzunft Henderwäldler die schummerig beleuchtete Innenstadt.

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Murrhardt - Samstagabend, Punkt 19.11 Uhr: Auf dem Marktplatz und in den Gassen nebenan herrscht im sonst um diese Uhrzeit verschlafenen Murrhardt Hochbetrieb. Sonderbare Gestalten machen mit den tollsten Gerätschaften einen Höllenlärm. Das Areal rund um das Rathaus ist mit Gittern abgesperrt – die Henderwäldlern haben den Regierungsbezirk gekapert, die Mitglieder der örtlichen Narrenzunft haben das Regiment übernommen.

 

Nur Thomas Zeeb hat noch das Sagen. Der Mann ist nämlich Mitarbeiter der Murrhardter Stadtverwaltung und Narr zugleich. Manch ein Kritiker mag einwenden, dass es bei der Verwaltung doch bestimmt nicht nur einen Narren gibt. Stimmt vielleicht, aber das ist eine andere Geschichte. An diesem Abend steigt der große Nachtumzug der Henderwäldler. Und Thomas Zeeb ist einer der Verantwortlichen.

„Wo bitteschön ist die Krawatte?“

Die Henderwäldler haben fast 50 befreundete Zünfte aus nah und fern eingeladen – und nun bevölkern mehr als eintausend Hästräger die Straßen, Gassen und Plätze in der Stadt. Der Lindwurm der kostümierten Gruppen hat sich soeben in Bewegung gesetzt. Und wer zuschauen will bei den Spektakel der Maskenträger, der muss zwei Euro Eintritt bezahlen. Dafür bekommt er dann eine Krawatte aus Pappe umgehängt. Die Ordner an den Zugängen zum närrischen Bezirk gucken mit Argusaugen, und wenn sie nicht sehen, was sie suchen, dann heißt es: „Wo bitteschön ist die Krawatte?“ Es herrscht Krawattenzwang, auch für die Damen.

Die Aktiven stecken im eigenen Häs. Nur einer nicht: Helmut Noller. Er ist der ehemalige Zunftmeister der Henderwälder und an diesem Abend der Sprecher, der mit einem Mikrofon in der Hand durch die Veranstaltung führt. Warum diesmal nicht im Häs sondern in einem schnöden weißen Nachthemd? Noller – bis dato der Spaßvogel in Person – sagt mit ernster Mine: „Mein Häs haben die mir im letzten Jahr kaputt gemacht, lauter Konfetti rein gesteckt.“ Bei solchen Scherzen hört der Spaß auf, selbst für einen Obernarren.

Ein Faschingsumzug kann zu einer bierernste Sache werden

Im Nu sind die Mitglieder der Gastvereine und die Murreder Henderwäldler voll in Aktion. Im schummerigen Licht binden sie den Zuschauer mit Klebebändern die Beine zusammen. Sie bemalen Gesichter mit schwarzer Farbe, verstrubbeln Frisuren, erschrecken und verschleppen Kinder. Ein paar Teenager auf dem Rathausvorplatz haben einen Mordsspaß. Zwei ältere Damen indes passt gar nicht, was sie da sehen müssen – weil sie angeblich nichts sehen. Die Kinder turnen ihren vor der Nase herum. Irgendwann wird es einer der Frauen zu bunt, sie mosert: „Geht mal ein Stück zurück, wir wollen auch was sehen“. So ein Faschingsumzug kann zu einer bierernste Angelegenheit werden.

Der kleine Spiderman hingegen, der auf den Schultern seines Papas sitzt, ist ganz zufrieden. Die Frage des Vaters, ob er auch ganz nach vorne wolle, verneint er mit einem Kopfschütteln. Man weiß nicht, ob er Schiss hat vor den Hexen und Teufeln oder vor der keifenden Zuschauerin.

Flegga-Zottler, Henderwäldler und die Spätzlesfresser

Die ulkigen Hästräger laufen vorbei an den geschätzt 4000 Schaulustigen, die Flegga-Zottler und die Henderwäldler, die Spätzlesfresser, die Wasserburg Hexa, Reichenberger Burghexen und alle anderen. Die Stimmung im Publikum ist gut, aber nicht überschwänglich. Eine Frau guckt skeptisch und sagt dann: „Ich kenne das ganz anders“, in Rottweil bei der alemannischen Fasnet gehe es wilder zu. „Da rennen die Narren viel mehr rum. Sind die hier etwa müde von der Anreise?“ Wer weiß.

Nach knapp zwei Stunden ist der – je nach Ansicht es Betrachters – Zauber oder Spuk zu Ende. Der Sprecher im Nachthemd sagt, nun gehe die große Faschingsparty in der Murrhardter Festhalle weiter. Die meisten Zuschauer indes pilgern zu ihren Autos und verlassen die Innenstadt. Das Areal rund um das Rathaus ist verwaist, so wie fast immer um diese Uhrzeit.