Ob im Radio, im Konzertsaal oder auf Alben: Musik aus Deutschland boomt wie nie zuvor. Besonders bei den Tonträgerverkäufen stellen nationale Künstler immer neue Bestmarken auf. Das hat Gründe.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - So hätte es sich Andreas Frege aus Düsseldorf ganz gewiss in seinen kühnsten Träumen nicht ausgemalt, als er am 28. April 1979 mit seiner Band zum ersten Mal auf einer bescheidenen Bühne stand: dass er 33 Jahre später einer der berühmtesten Berufsmusiker Deutschlands ist, dass er mittlerweile längst auf den größten verfügbaren Bühnen des Landes steht. Dass sein Lebensentwurf – der Punkrock – ein akzeptiertes Daseinsgefühl in diesem Lande ist und dass er exakt damit ein wohlhabender Prominenter in Deutschland geworden ist.

 

Aber so ist es gekommen. Der Sänger Andreas Frege, den nahezu die gesamte Bundesrepublik unter seinem Künstlernamen Campino kennt, steht nach wie vor einer der erfolgreichsten Bands des Landes vor. Er ist mittlerweile fünfzig Jahre alt, aber das hindert ihn nicht daran, mit seiner Band, den Toten Hosen, jetzt eine seit Wochen im Voraus ausverkaufte Tournee durch die größten Arenen der Republik zu starten. Am heutigen Dienstag beginnt die Tournee in Leipzig, und sie führt die Toten Hosen am 2. Dezember auch in die ebenfalls seit Wochen ausverkaufte, rund 13 000 Zuschauer fassende Stuttgarter Schleyerhalle.

Früher wurde gar eine Quote für deutsche Lieder gefordert

Aber damit steht die Gruppe nicht allein. Lang ist die Liste der deutschsprachigen Künstler, die mühelos die größten Hallen füllen oder auf den bedeutenden Festivals das Hauptprogramm bestreiten: Westernhagen, Seeed, In Extremo, Silbermond, Pur, Rosenstolz oder die Beatsteaks, die Fantastischen Vier und neuerdings ihr Stuttgarter Landsmann Cro zählen dazu – um nur einige zu nennen.

So war es allerdings nicht immer. Ganz im Gegenteil, 1996 fühlte sich der Musiker Heinz Rudolf Kunze sogar bemüßigt, mit der Forderung nach einer Abspielquote für deutsche Lieder im deutschen Rundfunk an die Öffentlichkeit zu treten. Vierzig Prozent aller Titel, so Kunze damals, müssten von deutschen Interpreten kommen. Im Jahr 2004 befasste sich sogar der Bundestag mit dem Thema. Die Radiosender gingen darauf selbstverständlich nicht ein – und Kunze sprach gewiss auch nicht als Vertreter für alle deutschen Musiker. „Ob die Radiosender jetzt Schrott aus Dänemark, Deutschland oder England spielen, ist uns doch egal“, sagte etwa Campino damals in einem StZ-Gespräch zur Quote.

Die deutschen Künstler sind jetzt viel öfter live zu hören

Immerhin hat sich die Wirklichkeit dem frommen Wunsch Kunzes ein wenig angeglichen. Denn mehr deutsche Musik als heutzutage wurde im Radio wohl noch nie gespielt. Deutsche Musik und deutschsprachiger Gesang liegen im Trend. Neben den etablierten Stars haben sich zahlreiche weitere Bands und Musiker aus der ganzen Republik in den vergangenen Jahren ins Rampenlicht gespielt. Sei es ein Tim Bendzko oder ein Philipp Poisel, seien es Bands wie Kraftklub oder Deichkind. Dennoch ginge da noch mehr. Laut einer Studie des Deutschen Musikexportbüros spielen die deutschen Hörfunksender durchschnittlich nur zu zehn Prozent Musiktitel in deutscher Sprache.

Aber die Songs der deutschen Künstler laufen nicht nur weitaus häufiger im Radio, sie sind auch viel häufiger live zu hören. Denn angesichts der seit nunmehr einem Dutzend Jahren rückläufigen Tonträgerverkäufe in Deutschland – zur Jahrtausendwende wurden hierzulande noch jährlich 2,5 Milliarden Tonträger verkauft, 2011 waren es nur noch 1,5 Milliarden – müssen die Künstler ihr Geld immer stärker mit Konzerten verdienen. So fördern sie die Nähe zum Publikum. Diese Identifikationsmöglichkeit ist natürlich einer der Gründe für die Popularität der deutschen Musik.

Der Erfolg im Ausland ist noch überschaubar

Neben der Nähe bei den Livekonzerten, der Identifikation mit den für viele leichter verständlichen Texten und der systematischen Förderung der Popmusik-Infrastruktur durch staatliche Institutionen begünstigt zudem ein Trend zur melodischen Eingängigkeit und inhaltlichen Leichtigkeit den Erfolg deutscher Musik.

Die Texte der unglaublich erfolgreichen Sängerin Andrea Berg haben wenig mit denen der einstigen Szenelieblinge Blumfeld zu tun. Die Inhalte bei den Toten Hosen haben nichts gemein mit den gesellschaftspolitischen Anklagen früherer Punkbands (etwa der Hosen-Vorgängerband ZK). Und der Hip-Hop von Cro bringt nicht die Aggressivität der deutschen Rapper aus der ersten Generation auf. Der Hauptgrund freilich ist, dass die krisengebeutelte deutsche Musikindustrie nur allzu willig den Trend befeuert. Für sie ist es weitaus günstiger, kräftig die Marketingmaschinerie für deutsche Künstler anzuwerfen, als teure Künstler aus Übersee zu promoten.

Im eigenen Lande zählt der Prophet also viel. Und im Ausland? Kraftwerk und die Einstürzenden Neubauten genießen unter den noch aktiven deutschen Bands international den Ruf musikalisch stilprägender Säulenheiliger. Sie konzertieren rund um den Globus als geachtete Impulsgeber. Die Scorpions aus Hannover, die sich derzeit auf ihrer Abschiedstournee befinden, sind zweifelsohne die international bekannteste deutsche Band, die insbesondere in Osteuropa („Wind of Change“ war die Hymne für die Revolution) höchstes Ansehen genießt.

Umgekehrt feiert die Band Rammstein insbesondere in Nord- und Südamerika große Erfolge. Das war es dann aber schon. Allenfalls die Teenieband Tokio Hotel war in den vergangenen Jahren auch international erfolgreich. Mittlerweile ist der Hype um sie aber verstummt. Was zeigt, wie schnell Sternschnuppen verglühen können. Es ist also keinesfalls gesichert, dass der momentane Erfolg deutscher Musik von Dauer sein muss.