Muhammad Ali ist tot: die Box-Legende ist im Alter von 74 Jahren gestorben, nachdem er 32 Jahre lang gegen die Parkinson-Krankheit gekämpft hat.

Sport: Heiko Hinrichsen (hh)

Stuttgart - Ein Buch mit Hochglanzseiten im Posterformat, dick wie eine Häuserwand, 29 Kilogramm schwer und 830 Seiten stark, das haben sie zu seinen Ehren erstellt. „GOAT – Greatest of all times“ – so heißt dieses Meisterwerk des Taschen-Verlages, das es im Herbst 2003 in einer auf 10 000 Exemplare limitierten Liebhaberauflage zum Preis von 3000 Euro je Stück zu erwerben gibt. Um diesen gelungenen Streifzug durch das Leben des berühmtesten Boxers des Planeten zu würdigen, ist damals auch der inzwischen verstorbene Co-Autor Bernd Nass, der unter seinem Pseudonym „Ben Wett“ jahrelang für die ARD das Sportgeschehen aus den USA kommentierte, auf die Frankfurter Buchmesse geeilt.

 

Wett befindet sich an diesem tristen Novembertag 2003 in der Entourage eines Mannes mit Schnurrbart, der beim Laufen zwar gestützt werden muss, sich aber in Tippelschritten immerhin auf den eigenen Beinen den Weg durch die verzückten Massen in der Messehalle bahnt. Trotz der körperlichen Leiden ist der Mann gut gelaunt. „Er liebt diesen Schnauzer – ich weniger“, scherzt die Ehefrau Lonnie später auf dem Podium über den Bart von „The Greatest“, den Ex-Champ an ihrer Seite, der als Muhammad Ali im Ring berühmt geworden ist, aber als Cassius Clay zur Welt kam.

1964 Anschluss bei den radikalen „Black Muslims“

Ein starkes Jahre später, am 4. Dezember 2005, ist das Mienenspiel des Boxers, dessen Parkinson-Erkrankung immer weiter voranschreitet, bereits zu einer Maske erstarrt. Mit aufgedunsenem Gesicht wird er in einem Elektrowagen in die Berliner Max-Schmeling-Halle gefahren. Zuvor hat Muhammad Ali von dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit die Otto-Hahn-Friedensmedaille erhalten. Für die Show im Ring ist anschließend seine Tochter Laila zuständig. Die boxt an jenem Abend in einem kaum ernst zu nehmenden Vorkampf gegen Aasa Sandell. „Ich liebe meinen Daddy. Er ist der Größte“, brüllt Laila Ali, die es sogar zur WBC-Weltmeisterin im Supermittelgewicht gebracht hat, nach dem gewonnen Fight. Immerhin hat es sich ihr Vater nicht nehmen lassen, persönlich am Ring anwesend zu sein.

Als Ali in die Halle geschoben wird, johlt und stampft das Publikum vor Begeisterung. Vermutlich in der Vorahnung, dass der Altmeister seine beiden Nachfolger im Ring, den Russen-Riesen Nikolai Walujew und den phlegmatischen John Ruiz, die sich anschließend um die Schwergewichtskrone der World Boxing Association (WBA) duellierten, zu seiner aktiven Zeit mühelos aus dem Ring gepustet hätte.

45 Jahre zuvor, im Sommer 1960, ist der Stern des jungen amerikanischen Faustkämpfer Cassius Marcellus Clay bei den Sommerspielen von Rom aufgegangen. Im Finale des Halbschwergewichts besiegte er damals den Polen Zbigniew Pietrzykowski. Doch seine Siegermedaille, die schmiss der Hitzkopf später in die Fluten des Ohio-Flusses, weil er in einem Restaurant seiner Heimatstadt Louisville in Kentucky als farbiger Amerikaner nicht bedient wurde. So geht jedenfalls eine der vielen Legenden um den größten Champion, den der Boxring je gesehen hat. Viel später hat Ali einmal gegenüber Freunden im kleinen Kreis behauptet, er habe die Goldmedaille von Rom verbummelt.

„Die Lippe von Louisville“

Egal, welche Version stimmt – ein Rebell ist der Boxer, der sich 1964 den radikalen „Black Muslims“ anschloss, der zum Islam konvertierte und seinen „schwarzen Sklavennamen“ Cassius Clay gegen Muhammad Ali eintauschte, Zeit seines Lebens geblieben. Seine Landsleute haben ihm einen Stern auf dem Hollywood-Boulevard in Los Angeles gewidmet; Muhammad Ali wurde 1999 zum „Sportler des Jahrhunderts“ und gar zum „populärsten Bewohner der Erde“ gewählt. Weil er ein begnadeter Sportsmann war. Aber in dem Boxer steckte auch ein Kämpfer, der sich vehement für die Rechte der Schwachen und der Unterprivilegierten einsetzte.

„Die Lippe von Louisville“, so nannten einige Spötter den großmäuligen Muhammad Ali. Er verweigerte 1967 den Militärdienst in Vietnam. „Ich habe keinen Streit mit dem Vietcong“, brüllte er damals. Diese Haltung brachte Ali eine Verurteilung zu fünf Jahren Haft, eine Geldstrafe von 10 000 Dollar, den Verlust der Boxlizenz und den Entzug der WM-Titel der beiden damals einzigen bedeutenden Weltverbände WBA und WBC ein. Zwar musste Ali die Gefängnisstrafe nie antreten, weil sein ziviler Ungehorsam dreieinhalb Jahre später vom amerikanischen Supreme Court in Washington höchstrichterlich gebilligt wurde. Doch der Champion hatte wichtige Zeit im Ring verloren.

„Den besten Ali haben wir durch das Startverbot nie gesehen“, sagte sein Trainer, der 2012 verstorbene Angelo Dundee damals auf der Frankfurter Buchmesse: „Nur Gott weiß daher, wie gut er wirklich war.“ Bereits 1964, im Alter von 22 Jahren, ist Cassius Clay erstmals Weltmeister im Schwergewicht geworden. In Miami Beach hatte der leichtfüßige Boxer mit der charismatischen Beinarbeit, dem Ali Shuffle („Schweb wie ein Schmetterling, stich wie eine Biene“), in der achten Runde den Titelträger Sony Liston zu Boden geschickt. Im weiteren Verlauf seiner Karriere machte sich Ali einen Spaß daraus, seine Knockout-Siege großspurig im voraus anzukündigen. „Leute, nehmt die Plätze dicht an der Tür, denn ich schlage ihn nieder in Runde vier“, reimte er vor dem Archie-Moore-Kampf.

Unvergessen bleiben den Boxsportfans in der ganzen Welt die drei Kämpfe gegen seinen ersten großen Rivalen, den schlagstarken „Smoking Joe“ Frazier. Im so genannten „Thriller from Manilla“ lieferten sich die beiden Boxer in der Hauptstadt der Philippinen eine der erbittertsten Ringschlachten aller Zeiten. Beide Kontrahenten gingen dabei an ihr physisches Limit. Vor dem Gong zur 15. Runde gab Frazier schließlich völlig erschöpft auf. Und Ali sagte später: „Dieser Kampf war sehr nahe am Tod.“

Acht Kinder mit vier Frauen

War Muhammad Ali besonders in den ersten beiden Ringduellen gegen Frazier für die US-Boxfans noch der Buhmann, so änderte sich dies spätestens mit seinem Auftritt am 30. Oktober 1974, der als der berühmteste Kampf in der Geschichte des Boxsports einging. In Kinshasa (Zaire) ließ sich Ali an den Seilen lehnend sieben Runden lang von seinem Widersacher George Foreman verprügeln. Als sich der Titelträger verausgabt hatte, schlug der Herausforderer zurück und knockte Foreman im „Rumble in the Jungle“ in der achten Runde aus. Zum zweiten Mal war er der Schwergewichtsweltmeister aller Klassen geworden. „Wenn ich Ali treffe, dann steht ein Stück Sportgeschichte vor mir“, sagte George Foreman später.

Noch ein drittes Mal, 1978 in der Revanche gegen Leon Spinks, konnte sich Ali seinen WM-Gürtel zurückholen. Doch trotz der eindringlichen Warnung der Ärzte verpasste der Champion den rechtzeitigen Absprung. Die 61 Profikämpfe (56 Siege/37 Knockouts) hatten ihre Spuren hinterlassen, ehe Ali am 11. Dezember 1981 nach einer Punktniederlage gegen Trevor Berbick seine Karriere beendete. Drei Jahre später wurde bei ihm die Parkinson-Krankheit diagnostiziert. Viele Experten sehen einen Zusammenhang zwischen den harten Schlägen im Boxring und Alis Schüttellähmung – doch wissenschaftlich konnte diese These nie belegt werden.

Trotz seiner Erfolge im Boxring, trotz seines sozialen Engagements und der vielen Ehrungen ist Muhammad Ali nie ein Heiliger gewesen. Er hatte mit vier Ehefrauen insgesamt acht Kinder und einen Adoptivsohn. Ein guter Familienvater, so sagt es auch die Tochter Laila, sei der Champ in seiner aktiven Zeit aber nie gewesen. Mit der Krankheit und steigendem Alter ist Muhammad Ali, der am 17. Januar 1942 als Sohn einer Köchin und eines Schildermalers in Kentucky geboren wurde, demütiger geworden. „Nicht ich bin der Größte“, sagte er da, „sondern Allah ist es.“ Die Beleidigungen seiner Gegner allerdings – Joe Frazier nannte er aufgrund seiner tiefschwarzen Haut einen Gorilla (kurz vor Fraziers Tod versöhnten sich beide Rivalen), sein loses Mundwerk und seinen Narzissmus, das alles hat er aber kaum bereut. Schließlich sei niemand perfekt, erklärte der Boxer. „Ein Mensch, der mit 50 Jahren die Welt noch mit den gleichen Augen sieht wie ein 20-Jähriger“, erklärte Muhammad Ali, „der hat 30 Jahre lang nicht gelebt.“

Nun ist Muhammad Ali im Alter von 74 Jahren gestorben.