Nachtleben in Stuttgart Was tun, wenn’s am Schlossplatz brenzlig wird?

Auch an diesem Wochenende steht das jugendliche Publikum am Kleinen Schlossplatz im Blickpunkt. Foto: 7aktuell.de/Simon Adomat

Die Debatten über das Nachtleben in der Stadt sind voll entbrannt, vor allem über den Bereich Schlossplatz. Videoüberwachung und Streetwork sind das eine – doch was können Passanten tun, wenn es brenzlig wird? Ein Konfliktexperte gibt Tipps.

Lokales: Wolf-Dieter Obst (wdo)

Stuttgart - Es ist kurz nach Mitternacht, als ein 15-jähriges Mädchen an einen aufdringlichen Mann gerät. Der hat die Jugendliche am Eckensee ins Visier genommen und versucht, sie in ein Gespräch zu verwickeln. Schließlich begrapscht er das Mädchen und flüchtet. Die Jugendliche alarmiert eine Polizeistreife, die ebenfalls im Park unterwegs ist – doch der Täter ist bereits über alle Berge. Jedenfalls fast.

 

Eine kleine Episode aus den nächtlichen Ereignissen rund um den Schlossplatz am Wochenende, ein Fall, der am 12. Dezember um 0.20 Uhr protokolliert ist. Und der für die Polizei als eines der Beispiele für die Sinnhaftigkeit einer Videoüberwachung zu bestimmten Zeiten in der Stadt gilt. Denn über die Kameras am Neuen Schloss konnte der Fluchtweg des Täters nachvollzogen werden: „Der Videobeobachter hat einen passenden Verdächtigen vor dem Café Künstlerbund ausfindig gemacht und die Einsatzkräfte herangeführt“, sagt Polizeisprecher Stephan Widmann. Der 28-Jährige wurde festgenommen.

Sieben Videostandorte und eine Arbeitsgruppe

Videoüberwachung gilt als eines der Rezepte, mit denen Stadt und Polizei die immer wieder aufkeimenden Eskalationen und Übergriffe eines jugendlichen Publikums am Schlossplatz eindämmen will. Zu den bisher eher provisorischen Kameras am Neuen Schloss sollen sieben weitere Standorte dazukommen – mit Starttermin voraussichtlich im Mai. „Zwei im Oberen Schlossgarten, zwei am Schlossplatz, eine an der Freitreppe und zwei am Kleinen Schlossplatz“, sagt Stadtsprecher Martin Thronberens über das Eine-Million-Euro-Projekt. Welche wann in Betrieb geht, stehe nicht fest.

Einen zweiten Ansatz wird die Stadt Stuttgart versuchen. Verschiedene Arbeitsgruppen mit Vertretern der Referate Jugend, Soziales, Kultur, Sport erstellen gerade ein Konzept, wie man öffentliche Plätze bespielen kann. „Es geht darum, mit Angeboten die Attraktivität für die unterschiedlichen Menschengruppen in der Stadt zu steigern, was den Präventionsaspekt beinhaltet“, heißt es dazu von der Pressestelle der Stadt. Außerstande sieht man sich allerdings, konkret zu erläutern, wie diese Angebote aussehen könnten. Im Frühjahr wolle man dazu Näheres sagen. Auch welche Orte infrage kommen könnten, soll dann geklärt werden.

Der politische Aufschrei ist groß

Brennpunkt Schlossplatz: Ein 18-Jähriger, der einem 14-Jährigen eine Glasflasche auf den Kopf schlägt und einem 17-Jährigen die Bauchtasche raubt, oder das Duo, das am Stadtbahn-Halt zwei 20 und 22 Jahre alte Frauen angreift und sexuell belästigt – Zwischenfälle der vergangenen Tage. Besonders der Kleine Schlossplatz hat für die Polizei noch viele blinde Flecken. „Natürlich sind die Beamten dort auch präsent“, sagt Polizeisprecher Widmann, „aber es geht vorrangig darum, sich anbahnende Straftaten frühzeitig zu erkennen, Bewegungsmuster zu sehen.“

Der politische Aufschrei ist derzeit groß – die CDU fordert mehr Repression und Law and Order, die FDP will am Donnerstag im Landtag den Innenminister ins Gebet nehmen. „Videos können aber nur ein kleiner Teil der Lösung sein“, sagt der FDP-Landtagsabgeordnete Friedrich Haag, „der Täter, der in der Krawallnacht 2020 einen Beamten umgetreten hatte, ist trotz der Filme ja noch immer nicht gefasst.“ Viel wichtiger müsse sein, dass die Polizei mit genügend Personal unterwegs sei.

Die Frage lautet: Wo ist die rote Linie?

Doch was bedeuten die Debatten konkret für die Bürgerinnen und Bürger? Was ist zu tun, wenn man selbst oder als Zeuge unversehens in eine heikle Situation gerät?

Für Peter Kollmannthaler, den pensionierten Ausbildungsleiter der Stuttgarter Polizei und Leiter des Lehrteams für Gewaltprävention beim Württembergischen Judo-Verband, gibt es einige Verhaltensregeln für Betroffene und für Zeugen. Aber auch die Feststellung: „Es fehlt noch der Konsens, was man als typisch für eine Großstadt und Partyszene hinnehmen möchte und wo die rote Linie überschritten ist.“ Nicht alles, was auf Stadtbesucher verstörend wirke, sei auch tatsächlich eine Ordnungswidrigkeit oder gar strafbar. Für den Konfliktexperten gibt es aber eine rote Linie: „Jede von einem Betrunkenen geworfene leere Wodkaflasche ist gefährlich und jede Schlägerei unkontrollierbar“, sagt er.

Expertentipp: Wie man nicht in die Bredouille gerät

Die Rezeptliste des Konfliktexperten ist umfangreich. Wer in eine brenzlige Situation gerät, sollte diese möglichst früh erkennen: „Wenn die Lautstärke sich ändert, wenn Töne aggressiver und Distanzen unterschritten werden“, so Kollmannthaler. Dann besser weit drum rum. Und lieber nicht noch spektakuläre Handyaufnahmen machen wollen – sonst gerät man selbst ins Visier.

Bei drohenden Auseinandersetzungen sollten Betroffene zusammenbleiben, sich nicht trennen lassen, zurückziehen. „Eine gute Adresse sind auch Türsteher“, sagt der Ex-Polizist. Wer eine belästigte Frau aus der Gefahrenzone holt, sollte sich „nicht auf Diskussionen mit den Tätern einlassen, nicht auf Provokationen reagieren“. Als Zeuge markante Erkennungsmerkmale des Täters einprägen, ihm eventuell auf Distanz folgen, um die Polizei zu lotsen. Für den Experten ist jedenfalls klar: „In zwei Monaten geht es mit den Partys wieder richtig los.“

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