Nächtliches Ausgangsverbot Wie sinnvoll ist die Ausgangssperre?

Auch in Nürtingen (Kreis Esslingen) gilt von Mittwoch an eine nächtliche Ausgangssperre. Foto: 7aktuell.de/Daniel Jüptner

Von Mittwoch an gilt in weiten Teilen der Region Stuttgart eine nächtliche Ausgangssperre. Das Sozialministerium verteidigt die Maßnahme. Allerdings gibt es auch Zweifel, wie viel die Ausgangssperre wirklich bringt.

Stuttgart - Bringt die nächtliche Ausgangssperre etwas, oder ist sie Symbolpolitik? Diese Frage stellen sich viele in den Kreisen Esslingen, Ludwigsburg, Rems-Murr und Göppingen. Dort darf man von diesem Mittwoch an zwischen 21 bis 5 Uhr nur noch mit triftigem Grund vor die Tür. In Stuttgart tritt die Ausgangssperre in der Nacht von Donnerstag auf Freitag erstmals in Kraft.

 

Die Kreise reagieren auf steigende Infektionszahlen und auf einen Brief von Uwe Lahl. Der Coronabeauftragte des Sozialministeriums hatte Ende März den Druck auf Kreise und Städte erhöht. Bei mehr als 150 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner seien nächtliche Ausgangssperren einzuführen. Falls die Landkreise nicht spurten, werde er „vor einer Weisung nicht zurückschrecken“, drohte Lahl.

Ein Sprecher des Ministeriums verteidigt den Schritt. Die Ausgangsbeschränkung sei nur „einer von vielen Bausteinen der Pandemiebekämpfung und als solche Ultima Ratio“. Sie leiste aber „einen wesentlichen Beitrag, die Zahl der Kontakte nachhaltig einzuschränken“. Mit der Mobilität steige auch die Infektionsgefahr.

Mehr Mobilität im Südwesten – und mehr Infektionen

Tatsächlich waren die Menschen in Baden-Württemberg zuletzt mehr unterwegs als im Rest der Republik. Die Mobilität kurz vor Ostern und am Ostersonntag war laut Statistischem Bundesamt fast so hoch wie 2019. Bundesweit wurde dagegen ein Rückgang von etwa zehn Prozent ermittelt. Seither stiegen die Infektionszahlen in Baden-Württemberg schneller als im Rest der Republik. Am Montag lag die Inzidenz erstmals seit Weihnachten über dem deutschlandweiten Wert.

Auf die hohen Infektionszahlen hatte die Landesregierung schon einmal mit nächtlichen Ausgangssperren reagiert. Von Mitte Dezember bis Mitte Februar, als ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofs die landesweite Ausgangssperre gekippt hat, sank die Inzidenz von rund 200 auf 50. Der Sprecher des Sozialministeriums räumt ein, dass das nicht nur an der Ausgangssperre lag, schließlich wurden damals auch andere Regeln verschärft. Er zitiert aber eine Studie der Universität Oxford, die in sieben Ländern 117 Regionen untersucht. Demnach haben Ausgangsbeschränkungen eine gewisse Wirkung. „Sie haben sicher mit dazu beigetragen hat, dass die Zahl der Neuinfektionen in Baden-Württemberg im Winter stärker als in anderen Ländern gesunken ist“, sagt der Ministeriumssprecher.

Maßnahme mit begrenztem Potenzial

Astrid Kiendler-Scharr vom Forschungszentrum Jülich ist nicht so überzeugt. „Natürlich ist es wünschenswert, dass die Anzahl und die Dauer der Innenraumkontakte reduziert werden“, sagt die Professorin und ehemalige Präsidentin der Gesellschaft für Aerosolforschung (Gaes). „Aber ob solche Ausgangsbeschränkungen ein wirklich effektiver Weg zur persönlichen Risikominimierung ist, daran habe ich doch erhebliche Zweifel.“ Wichtiger sei eine Informationskampagne, die neue Forschungsergebnisse breit bekannt mache. Die Gaes hatte jüngst mit einer Studie für Aufsehen gesorgt, laut der die Ansteckungsgefahr im Freien minimal ist verglichen etwa mit einem Großraumbüro.

Wie viele Ansteckungen eine Ausgangssperre verhindern kann, hängt also vor allem an der Zahl der damit verhinderten Treffen in geschlossenen Räumen. Dieses Potenzial ist begrenzt: Gut zehn Prozent aller Bewegungen innerhalb eines Landkreises entfallen auf die Zeit zwischen 21 und 5 Uhr, haben Mobilitätsforscher des Robert-Koch-Instituts errechnet. „Zudem gibt es vermutlich Ausweicheffekte“, heißt es in der Analyse – man trifft sich dann eben tagsüber.

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