Acht neue S-Bahn-Stationen, vier umgebaute Bahnhöfe und 28 Kilometer neue Gleise sind am Samstag eingeweiht worden. Allerdings war trotz knackig kaltem Winterwetter unter blauem Himmel nicht alles eitel Sonnenschein.
Backnang/Renningen - Pfundige Blasmusik auf den Bahnhöfen, Menschenmassen auf den Bahnsteigen, dichtes Gedränge in den Zügen – wenn die Begeisterung und die Nachfrage bei der Eröffnung am Samstag ein Maßstab für die weitere Nutzung der von Marbach nach Backnang verlängerten S 4 und für der neuen S 60 zwischen Böblingen und Renningen ist, dann wird die größte Netzerweiterung der S-Bahn seit 30 Jahren zu einem großen Erfolg. Acht neue S-Bahn-Stationen, vier umgebaute Bahnhöfe und 28 Kilometer neue Gleise wurden eingeweiht, und erstmals gibt es im sternförmig auf Stuttgart zulaufenden S-Bahn-Netz nun auch Querverbindungen. „Das ist ein richtig gutes neues Angebot, das den Nahverkehr deutlich verbessert“. Auch der Regionalpräsident Thomas Bopp (CDU) und Eckart Fricke, der Konzernbevollmächtigte der Deutschen Bahn im Südwesten, sprachen von einer spürbaren Steigerung des Verkehrsangebots. „Das ist ein Meilenstein“, meinte Fricke. Die Bahn AG ist Bauherrin der neuen Strecken und fährt im Auftrag der Region den S-Bahnverkehr.
Auf den Eröffnungsveranstaltungen in Backnang und Renningen ließen auch die Offiziellen ihrer Begeisterung freien Lauf. Johannes Fuchs, der Landrat des Rems-Murr-Kreises, erklärte den 8. Dezember zum Glückstag für den Nordosten der Region, sein Kollege Rainer Haas sieht den Landkreis Ludwigsburg nun „optimal aufgestellt“, der Backnanger Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) stellte die Eröffnung in eine Reihe mit dem 8. Dezember 1879, als vor 133 Jahren zum ersten Mal die Murrbahn fuhr. Und der Böblinger Landrat Roland Bernhard bekannte im proppevollen Festzelt in Renningen, nur an seinem Hochzeitstag habe er mehr Glücksgefühle verspürt.
Nüchtern betrachtet verkürzen die beiden neuen Strecken im Westen und im Norden der Region die direkten Verbindungen, weil nun nicht mehr die Fahrt ins Stuttgarter Zentrum nötig ist. Für die Strecke Backnang-Ludwigsburg benötigt man nur noch 33 statt 50 Minuten. Die Fahrt zwischen Böblingen und Renningen dauert eine Viertelstunde, was besonders für Beschäftigte des Daimler-Werks in Sindelfingen und der Entwicklungszentren von Bosch in Renningen und Porsche in Weissach attraktiv sei, sagte der Renninger Bürgermeister Wolfgang Faißt. Zudem entlasten die Tangentialverbindungen die sich an ihrer Kapazitätsgrenze befindlichen Strecke Hauptbahnhof-Schwabstraße, wo sechs S-Bahn-Lininen verkehren. „Vor allem die S 60 stärkt das gesamte S-Bahn-Netz“, sagte Bopp. Die Landräte und die Rathauschefs betonten auch die hohe Bedeutung der S-Bahn für die Entwicklung von Gewerbe und Wohnen. „Die S-Bahn ist ein Wachstumsmotor“, sagte Jürgen Wurmthaler, der Verkehrsdirektor des Verbands Region Stuttgart. Er erhofft sich auch deutlich mehr Fahrgäste. Auf der vor zwei Jahren verlängerten Strecke der S 1 nach Kirchheim/Teck werden 45 Prozent mehr Fahrgäste registriert.
Bürger befürchten mehr Lärm
Allerdings war trotz knackig kaltem Winterwetter unter blauem Himmel nicht alles eitel Sonnenschein. In Renningen demonstrierte eine Bürgerinitiative, weil sie befürchtet, dass auf der neuen S 60 künftig auch mehr Güterzüge verkehren und sie deshalb mehr Lärm ertragen müssen, obwohl sechs Kilometer Lärmschutzwände neu errichtet wurden.
Und der Blick in die S-Bahn-Zukunft war auch alles andere als rosig. Allein die Verlängerung der S 2 von Bernhausen nach Neuhausen auf den Fildern erwähnte Hermann als realistisches Projekt. Auf weiter gehende Wünsche, etwa die von Bernhard geforderte Elektrifizierung der Schönbuchbahn, ging Hermann nicht ein, er verwies nur auf die Finanzierungsprobleme, auch weil die Förderprogramme des Bundes 2019 auslaufen. „Wir können Geld auch nicht herzaubern“, sagte er. Und deshalb erwähnte Bopp auch das Ziel, die S-Bahn in den kommenden Jahren zunächst nach Göppingen und später bis Süßen und Geislingen fahren zu lassen. „Wir dürfen das nicht vergessen“, mahnte er.
Die neue S 60, die auf dem Teilabschnitt Böblingen-Maichingen schon seit Mitte 2010 in Betrieb war, hat eine Länge von 14,5 Kilometern und ist zwischen Sindelfingen und Renningen auf zwölf Kilometern zweigleisig ausgebaut. Die drei Bahnhöfe Sindelfingen, Böblingen und Renningen sind für den S-Bahn-Betrieb umgebaut werden, in Maichingen, Magstadt und Renningen gibt es drei neue Stationen. Eine Besonderheit ist, dass in Renningen die S 6 und S 60 gekuppelt werden und zusammen Richtung Schwabstraße fahren, in der Gegenrichtung fährt ab Renningen nur der hintere Zugteil weiter nach Böblingen.
Die Gesamtkosten betragen rund 151 Millionen Euro, davon tragen der Bund (69,8 Millionen Euro), das Land (29,1 Millionen Euro), der Verband Region Stuttgart (27,9 Millionen Euro) und 9,3 Millionen Euro der Kreis Böblingen (hinzu kommen 14,7 Millionen Euro für Straßenbaumaßnahmen). Die Betriebskosten von knapp 13 Millionen Euro pro Jahr teilen sich die Region und der Kreis.
Aufregung gab es am Sonntag auf der neuen S-4-Strecke: Laut der Bahn war vormittags ein Güterzug im Halt Burgstall wegen einer defekten Lok liegen geblieben. Der Bahnhof konnte daher vier Stunden lang bis 15.30 Uhr nicht angefahren werden.