Überforderte Teenager, aggressive Erwachsene – zu Unrecht Beschuldigte? Das Amtsgericht in Göppingen muss sich jetzt um die juristische Nachlese der Nazi-Demos und Gegendemos im Oktober kümmern.

Göppingen - In Göppingen könnte man inzwischen wohl sagen: nach dem Oktober ist vor dem Oktober – Stadt, Parteien und Verbände überlegen, wie sie mit den für den 12. Oktober angekündigten rechtsradikalen Märschen sowie den ebenfalls bereits angekündigten Gegendemonstrationen umgehen sollen. Das Amtsgericht ist derweil noch dabei, die Straftaten aufzuarbeiten, die bei den Demonstrationen im vergangenen Oktober begangen worden sind. Jetzt hat die erste Verhandlung gegen eine junge Frau aus Stuttgart stattgefunden, die einen Polizisten angegriffen hat. Weitere Prozesse werden folgen. Wer die 19-Jährige vor sich sieht, käme nie auf die Idee, dass dieses zierliche, blond gelockte Persönchen einem Polizisten, der einen halben Kopf größer ist als sie selbst, eine Platzwunde unter dem Auge zugefügt haben soll. Und doch ist es so gewesen. Die Stuttgarterin ist am 6. Oktober gegen 17 Uhr mit dem Zug nach Göppingen gereist, zusammen mit rund 150 anderen, wie die Polizei sagt, gewaltbereiten Autonomen. Die jungen Leute kamen, wie rund 1500 andere auch, um gegen Rechtsradikale zu demonstrieren. Viele Göppinger denken mit Grausen an den Tag zurück, an dem Hubschrauber über der Stadt kreisten, Uniformierte die Innenstadt abriegelten und sich immer wieder Jagdszenen zwischen Polizisten und Gegendemonstranten abspielten, während rund 150 Neonazis ihre Gegner genüsslich provozierten – meist allerdings, ohne die Grenze zur Strafbarkeit zu überschreiten.

 

Zierliches Persönchen schlägt zu

„Als wir am Bahnhof ankamen, hat sich uns gleich ein beängstigendes Bild geboten“, erzählt die junge Frau. Sie berichtet von Polizisten mit Helmen auf den Köpfen und Schlagstöcken in den Händen, die die Demonstranten in der Bahnhofsunterführung abgedrängt hätten. Sie könne sich kaum noch erinnern, aber zwei Polizisten seien wohl auf eine Person losgegangen. Sie habe helfen wollen und versucht, die Polizisten wegzustoßen. Daran, jemanden verletzt zu haben, erinnere sie sich nicht. „Wie soll ich das auch machen, bei meiner Statur einen Polizisten in Schutzausrüstung verletzen“, fragte sie. Doch falls sie tatsächlich jemanden verletzt habe, tue ihr das leid.

Das Gericht hätte ihr womöglich geglaubt – gäbe es keine Videoaufnahmen. Darauf ist zu sehen, wie grölende Demonstranten durch den Tunnel laufen, am Rande stehen nur wenige Polizisten, ohne Schutzuniformen, Helme oder Schlagstöcke. „Wir hatten keine Zeit mehr die Ausrüstung anzulegen“, berichtet der 36-jährige Polizist, den die Demonstrantin verletzt hat.

16 Verfahren landen bei Gericht

Es sei zu Handgreiflichkeiten gekommen. Die Angeklagte habe mehrmals nach seinem Gesicht geschlagen und ihn verletzt. „Aber ich konnte sie nicht gleich festnehmen, ich musste mich erst mal selbst in Sicherheit bringen“, so der Mann. Mit Hilfe von Videobändern sei es später gelungen, die 19-Jährige zu identifizieren.Die junge Frau wird wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte und Körperverletzung zu 50 Arbeitsstunden verurteilt. Das vergleichsweise milde Urteil wurde auch deshalb gesprochen, weil das Gericht ihr glaubt, dass sie überfordert gewesen und in Panik geraten war. Obwohl es eigentlich keinen Grund dazu gegeben habe, wie der Vorsitzende Richter Wolfgang Rometsch anmerkt. „Da war halt viel Geschrei, wie das immer so ist“, sagte er.

Der Nachhall dieses Geschreis wird noch eine Weile zu hören sein. Die Straftaten, die am 6. Oktober verübt wurden, mündeten in 57 Verfahren. In 32 davon konnten die mutmaßlichen Täter ermittelt werden, alles in allem 50 Beschuldigte sollen Widerstand geleistet oder andere beleidigt haben, verbotene Gegenstände wie Pfefferspray oder Waffen dabeigehabt oder sich vermummt haben. 16 Anklagen oder Strafverfahren landeten schließlich bei Gericht. Und am 12. Oktober stehen bereits die nächsten Demonstrationen und Gegendemonstrationen an.