Spuk-Ruine, Untote und Meuchelmord: Die Netflix-Serie „Der Untergang des Hauses Usher“ bietet alles für einen schaurigen Abend auf dem Sofa – und übersetzt den Horrorcharme Edgar Allan Poes in die Gegenwart.

Es pocht leise. Roderick hatte seine Zwillingsschwester Madeline im Keller des prächtigen Herrenhauses begraben. Doch nach einigen Tagen dringen Geräusche nach oben – ein Klopfen, ein Kratzen, ein Schreien. „Wir haben sie lebendig ins Grab gelegt!“ Die Tür schwingt auf, Madeline steht blutüberströmt im Saal und wirft sich auf ihren Bruder. Der Erzähler kann fliehen, „der tiefe und schwarze Teich zu meinen Füßen schloss sich finster und schweigend über den Trümmern des Hauses Usher“.

 

Horror-Meister Mike Flanagan („Spuk in Hill House“) hat sich der Erzählung „Der Untergang des Hauses Usher“ und anderer Werke Edgar Allan Poes angenommen und für Netflix rundum erfrischt. Aus den Altadel-Geschwistern werden CEO und COO von Fortunato Pharmaceuticals, die auf den giftmischenden Spuren der Sackler-Familie wandeln. Aus dem Renaissance-Maskenball in „Die Maske des roten Todes“ wird eine Sex- und Drogen-Party, aus dem entflohenen Orang-Utan in „Der Doppelmord in der Rue Morgue“ ein Tierversuchslabor. Aus Poes Gothic-Horror wird ein zeitkritisches Familiendrama im Stil von „Succession“ – mit viel Grusel.

Nach und nach sterben die Ushers

Szene aus „Der Untergang des Hauses Usher“ Foto: Netflix/Eike Schröter

Eine Beerdigung steht am Anfang der Serie. Roderick Usher (Bruce Greenwood) muss seine erwachsenen Kinder zu Grabe tragen. Im Gespräch mit dem Staatsanwalt Dupin erzählt Roderick von seiner Kindheit mit Madeline (Mary McDonnell), dem Aufstieg der Geschwister zu Pharma-Mogulen und erklärt, wie es zu den Toden seiner Kinder kam. In seinem Gegenüber Auguste Dupin (Carl Lumbly) hat Poe den ersten Detektiv der Literaturgeschichte erfunden – Sherlock Holmes und Hercule Poirot tragen seine Züge. Während des Gesprächs peinigen Roderick Visionen der toten Kinder sowie leise Geräusche aus dem Keller…

Wie in Agatha Christies „Und dann gab‘s keine mehr“ sterben die Ushers nach und nach, in jeder Folge einer. Die so unheimliche wie mysteriöse Verna (Carla Gugino) bestraft als Mephistopheles die Sünden der Familie. Allen geht es an den Kragen – den zugekoksten Partylöwen Leo und Prospero, der ehrgeizigen Herzforscherin Victorine, der zynischen PR-Chefin Camille, der voyeuristische Lifestyle-Unternehmerin Tamerlane und dem eifersüchtigen Firmenerben Frederick. Sie alle trennt nur eine dünne Schicht Zivilisation vom Wahnsinn. Und diese Schicht wird schnell eingerissen.

Poe ersteht aus dem Grabe auf

Szene aus „Der Untergang des Hauses Usher“ Foto: Netflix/Eike Schröter

Seit der Halloween-Folge der Simpsons, in der Homer über den Verlust seiner geliebten Lenore den Verstand verliert, wurde Poe kein solches Leben (beziehungsweise Sterben) mehr eingehaucht. Für Liebhaber seiner Literatur gibt es wunderbare Entdeckungen zu machen, bereits in den Namen der Figuren: Eliza, Annabel Lee, Arthur Gordon Pym. Doch auch für all jene, die Poe bisher nicht kennen, ist die Serie ein großer Genuss – und ein Anreiz, seine Erzählungen zu lesen.

Szene aus „Der Untergang des Hauses Usher“ Foto: Netflix/Eike Schröter

„Der Untergang des Hauses Usher“ bietet blutgefrierenden Grusel. Der FSK-18-Horror ist zuweilen drastisch, doch liegt meist in der subtilen Bedrohung, die über den todgeweihten Ushers schwebt. Nie ist ganz eindeutig, was Wahnsinn, was echte Bedrohung ist. Die Serie ist perfekt für Halloween – zumindest solang kein kleiner Untoter auf der Suche nach Süßem oder Saurem leise an der Tür pocht…

Hier geht es zum Stream von „Der Untergang des Hauses Usher“ bei Netflix.