Der 1933 vor den Nazis in die Schweiz geflüchtete Otto Nebel „müsste in einem Atemzug mit Klee und Kandinsky genannt werden“, findet Isabell Schenk-Weininger, die Leiterin der Städtischen Galerie Bietigheim-Bissingen. Jetzt ist dem Künstler dort eine famose Schau gewidmet.

Ludwigsburg: Susanne Mathes (mat)

Bietigheim-Bissingen - Was für ein Spektrum: Groteske Kriegs-Tuschezeichnungen in Dix-Manier. Lyrik, die in Konvention erstarrte Sprachfloskeln auseinandernimmt. Großformatige Kathedralenbilder, die rein das Licht interessiert, das die Innenräume durchflutet. Oder Farb-Atlanten, die italienische Städte anhand von Braun-, Blau- oder Gelbtönen charakterisieren. Diese und zahlreiche weitere Facetten des deutsch-schweizerischen Malers, Dichters und Grafikers Otto Nebel (1892 bis 1973) zeigt jetzt die städtische Galerie Bietigheim-Bissingen. Es ist die erste deutsche Nebel-Einzelausstellung seit mehr als 20 Jahren.

 

Der vielfach begabte Hochkaräter, der mit den Grenzbereichen von Sprache und bildender Kunst experimentierte, läuft nach Ansicht von Museumsleiterin Isabell Schenk-Weininger zu Unrecht viel zu sehr unter der Wahrnehmungsschwelle. „Otto Nebel würde es gebühren, in einem Atemzug mit Klee und Kandinsky genannt zu werden, mit denen er auch befreundet war. Er hat mehr Anerkennung verdient“, sagt sie. Mit mehr als 100 Gemälden, Aquarellen, Zeichnungen und Grafiken, ergänzt durch Filme und Tondokumente, hoffen Schenk-Weininger und ihr Team, ihren Teil dazu beitragen zu können. Ihre Kollegin Shirley-Ann Ruf nahm die Schau mit dem Gedichtzitat-Titel „Zur Unzeit gegeigt“ sogar zum Anlass, den ersten Kinder-Audioguide der Galerie zu konzipieren.

Soldatenuniform statt Bühnen-Kostüme

In Berlin geboren, lernte Otto Nebel den Eltern zuliebe zunächst Maurer, danach Hochbaufachmann. Dann zog es den hellwachen, blitzgescheiten jungen Mann ans Theater, er machte eine Ausbildung zum Schauspieler. Bevor er aber sein erstes Engagement in Hagen antreten konnte, brach der Erste Weltkrieg aus. Statt der Bühnen-Kostüme wartete die Soldatenuniform auf ihn. In englischer Kriegsgefangenschaft war es auch, als der 25-Jährige sein literarisches Debüt „Zuginsfeld“ zu Papier brachte – eine Collage aus Versatzstücken des wilhelminischen Militarismus-Sprech. Sie nimmt Redensarten, Parolen und Befehle auseinander, münzt sie gewitzt um und kombiniert sie neu. Während eines Fronturlaubes war Nebel 1916 mit den Künstlern der expressionistischen Zeitschrift „Der Sturm“ um Herwarth Walden in Kontakt gekommen, die ihn inspirierten. Später publizierte Nebel selbst im „Sturm“.

Ein weiteres, allein in seiner Dimension gewaltiges Sprach-Kunstwerk zeigt die Galerie gleich im Entree: Die zweieinhalb Meter hohe „Runen-Fahnen“, für die Nebel aus nur neun immer wieder vorkommenden Buchstaben ein Gedicht schrieb und es dann mit Farben und Codierungen „optisch und phonetisch durchdeklinierte“, so Schenk-Weininger. „Ich kenne keinen anderen Künstler, der so etwas in einer solchen Konsequenz durchgespielt hat.“

Bei den Schweizer Autoren nicht erwünscht

1933 ging der von den Nationalsozialisten als „entarteter Künstler“ eingestufte Nebel ins Schweizer Exil – kein leichter Weg, denn mit offenen Armen wurde er mitnichten empfangen. „Otto Nebel soll unter allen Umständen die Bewilligung verweigert werden, hier in der Schweiz literarisch tätig zu sein. Am einfachsten wird dieses Ziel erreicht, wenn ihm der Aufenthalt in unserem Land verweigert wird“, heißt es in einem Brief des Schweizerischen Schriftstellerverbandes von 1938 an das Arbeitsamt in Bern.

Dass Nebel und seine Frau zwischen 1936 und 1951 über die Runden kamen, verdankten sie der finanziellen Unterstützung der Guggenheim Foundation in New York und der Fürsprache von Wassily Kandinsky. Später hingegen hing Nebels so einfaches wie eindrückliches Bild „Flüchtlinge“ sogar auf ausdrücklichen Wunsch einige Jahre im Schweizer Bundesamt für Migration, berichtet Therese Bhattacharya-Stettler, die Präsidentin der Otto-Nebel-Stiftung.

Die Stiftung als Hauptleihgeberin

Die Bietigheimer Galerie verdankt es vor allem der Berner Otto-Nebel-Stiftung als Hauptleihgeberin, dass sie Nebels Werk bis Mitte Januar 2020 zeigen kann. „Wir freuen uns aber, auch aus unserer eigenen Sammlung schöpfen zu können“, sagt Isabell Schenk-Weininger. Die Galerie besitzt mehrere Nebel-Linolschnitte. Sie sind, wie die ganze Schau – auch so eine schöne Wortschöpfung von Otto Nebel – wahre „Trübsinnscheuchen“.