Der Neujahrsempfang der Landesregierung galt diesmal den Kulturschaffenden. Mehr Geld versprach Ministerpräsident Winfried Kretschman nicht, dafür bot er schöne Worte.

Hält er durch? Oder muss er abbrechen? Immer wieder kracht es gewaltig in der Brust des Redners, schweres Husten ist zu vernehmen. Aber Winfried Kretschmann steht den  Neujahrsempfang der Landesregierung tapfer durch, obwohl ihn, wie er um Verständnis bittend anmerkt, noch die  Nachwirkungen einer Mittelohrentzündung plagen.

 
 
Der Ministerpräsident steht, umringt von seiner fast vollständig erschienenen Ministerschar, im Vortragssaal der Neuen Staatsgalerie. Eine Novität, gilt doch das Neue Schloss als der eigentlich repräsentative und daher einem Neujahrsempfang am ehesten angemessene Ort in der Landeshauptstadt. Doch diesmal gilt der  traditionelle  Neujahrsempfang dem Thema  Kunst und Kultur gehen. Warum also nicht in den Sterling-Bau gehen, einem Leuchtturm der baden-württembergischen Kulturlandschaft, dessen Strahlkraft zuletzt allerdings doch merklich nachließ. Nun liegt es an der neuen Direktorin Christiane Lange, nach den Jahren im Halbschatten wieder für mehr Licht sorgen.
 
Der Ministerpräsident umkreist in seiner Rede das Verhältnis von Kunst und Politik, er zitiert – unvermeidlich – seine Hausphilosophin Hannah Arendt („Der Sinn von Politik ist Freiheit“), er beruft sich –  das wurde auch mal Zeit, diesen schwäbischen Säulenheiligen hat er bisher schnöde vernachlässigt – auf Friedrich Schiller („Kunst ist eine Tochter der Freiheit“). Mit Schiller kann der Regierungschef im Kreis der Kulturschaffenden nicht falsch liegen, einem Publikum, von dem der erhoffen darf, dass es von Schillers Briefen „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ schon einmal gehört oder dieselben womöglich sogar gelesen hat. Kretschmann sagt etwas bieder, dass die  zweckfreie Kunst das Leben verschönere, setzt dann aber in einem sanften Anflug von Gesellschafts- und überhaupt Weltkritik hinzu, dass die Kunst doch auch herausfordere und „unser gewohntes Denken und Handeln“ hinterfrage. „Es gehört zum Wesen der Künste, dass ihnen ein kritisches Potenzial innewohnt.“ Dem Erschrecken über so viel Aufsässigkeit folgt prompt die begütigende Feststellung, Kunst und Kultur seien der „Stolz des Bürgertums“, der „Nährboden einer offenen und aufgeklärten Bürgergesellschaft“.
 
Mehr Geld gibt es nicht
 
Aufs Geld kommt der Ministerpräsident erst später zu sprechen. Aber weil dieses Thema Kulturschaffende auch und keineswegs wenig interessiert, so viel vorweg: Mehr gibt es nicht. Kretschmann sagt trocken, wie jeder wisse, halte er nicht viel von dem Motto: „Viel hilft viel.“ Dies gelte auch fürs Finanzielle. Also möge man bitte mit den „vorhandenen Mitteln möglichst viel Gutes und Sinnvolles gestalten“. Im Gegenzug verspricht  er, den Kunstetat nicht in einen „haushaltspolitischen Steinbruch“ zu verwandeln.
 
Dann stellt der Ministerpräsident sein Kabinett vor. Das Publikum spendet freundlichen und ziemlich gleichmäßigen Beifall. Nur als der Regierungschef ganz am Ende noch den Satz nachschiebt: „Und das ist meine Frau Gerlinde Kretschmann“, und diese an seine Seite holt, da bricht im Saal Begeisterung aus.
 
Einen vergnüglichen Kontrapunkt bildet der Auftritt des Kabarettisten Mathias Richling, der das Thema Politik und Lüge variiert und die Rede hält, die der Ministerpräsident hätte halten müssen, hätte dieser die Wahrheit sagen wollen. Riechling arbeitet sich etwas länglich am Thema Stuttgart 21 ab, was den SPD-Fraktionsvorsitzenden Claus Schmiedel erkennbar wenig amüsiert. Aber vielleicht blickt der Stuttgart-21-Befürworter  auch deshalb finster drein, weil er sich schon am Morgen über ein Interview des Verkehrsminister Winfried Hermann in der „Stuttgarter Zeitung“  geärgert hatte. Indes: Auch in solch düsteren  Gemütslagen hilft die Hinwendung zur Kunst. Im achtzehnten seiner Briefe über die ästhetischen Briefe bemerkt Schiller, die „schmelzende Schönheit“ werde als „ruhige Form das wilde Leben besänftigen und von Empfindungen zu Gedanken den Übergang bahnen“.
 
Ruhig und frei von wilden Empfindungen bleibt es diesmal auch außerhalb des Veranstaltungsorts. Keine Demonstration, keine durch die Lüfte segelnden Schuhe. Offensichtlich haben arabische Protestformen inzwischen an Glanz verloren.