Der bruchanfällige Gleisunterbau führt auch dieses Jahr zu rund 450 zusätzlichen Baustellen im Schienennetz und wird für den ohnehin klammen DB-Konzern enorm teuer. Ein Ende ist noch nicht absehbar.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Im deutschen Schienennetz müssen in diesem Jahr erneut rund 500 000 bruchanfällige Betonschwellen ausgetauscht werden. Das seien fünf Mal mehr als üblich, sagte eine Sprecherin der Deutschen Bahn AG unserer Redaktion. Bereits 2023 musste der Staatskonzern, der die lange vernachlässigte Infrastruktur verwaltet, eine halbe Million Schwellen ersetzen. Das führte bundesweit zu 450 zusätzlichen Baustellen, hohen Mehrausgaben und vielen Beeinträchtigungen im Bahnverkehr.

 

DB: Ein immenser Kraftakt

Der Konzern spricht von einem „präventiven Prüfprogramm“. Auslöser war das schwere Unglück am 3. Juni 2022 bei Garmisch-Partenkirchen, als ein Regionalzug entgleiste. Dabei kamen fünf Menschen ums Leben, weitere 16 Personen wurden schwer und 62 Fahrgäste leicht verletzt. Mittlerweile gilt es als weitgehend sicher, dass brüchige Spannbetonschwellen die Katastrophe verursachten. Die Deutsche Bahn verringerte unmittelbar danach an vielen Stellen im Schienennetz die zulässige Geschwindigkeit teils drastisch, was zu vielen Verspätungen führt. Manche Strecken müssen bis Baubeginn aus Sicherheitsgründen sogar ganz gesperrt werden.

Der Austausch sei „ein immenser Kraftakt“, betont der Konzern. Ein Ende sei noch nicht absehbar. „Bis der aktuell laufende Schwellenaustausch bundesweit fertiggestellt ist, wird es noch dauern“, erklärte die DB-Sprecherin auf Nachfrage. Man ersetze die betroffenen Schwellen „so schnell es geht“ und möglichst bevor es zu Langsamfahrstellen oder gar Sperrungen komme. Wann immer möglich fänden Arbeiten nachts während Betriebspausen oder in bereits für Instandhaltungen vorgeplanten Sperrzeiten statt. Fachpersonal und Baumaschinen seien aber schon angesichts des sonstigen Baupensums knapp.

Sanierungsstau von 90 Milliarden Euro

Die massiven und drängenden Probleme mit dem Gleisunterbau verschärfen den Handlungsbedarf und die gravierenden Finanzierungsengpässe beim schon lange modernisierungsbedürftigen deutschen Schienennetz. Der Sanierungsbedarf wird auf mindestens 90 Milliarden Euro veranschlagt, nur ein Bruchteil davon ist bisher finanziert. Nach dem Haushaltsdebakel der Bundesregierung fehlen zudem bereits zugesagte Mittel für die Bahn-Infrastruktur in zweistelliger Milliardenhöhe. Die DB AG will daher bis zu 150 Projekte aufschieben – womöglich bis zum St. Nimmerleinstag, wie Kritiker befürchten.

Eine Einschätzung, wieviel der Austausch von Millionen Betonschwellen insgesamt kosten wird, sei „derzeit noch nicht möglich“, heißt es beim DB-Konzern. Auch Schadensersatzklagen gegen Hersteller der bruchanfälligen Teile sind demnach weiter offen. „Erst nach Abschluss aller Gutachten kann eine finale Prüfung möglicher Schadenersatzansprüche erfolgen“, erklärt die Sprecherin. Nach derzeitigem Kenntnisstand seien schadhafte Betonschwellen Ursache des tragischen Unfalls bei Garmisch.

Verschärfte Überwachung der Gleise

Nach DB-Angaben haben materialtechnische Untersuchungen „teilweise Unregelmäßigkeiten“ in der Materialbeschaffenheit der Schwellen ergeben. Eine bestimmte Gesteinsart, die zur Produktion der Betonschwellen genutzt wurde, könne danach mitursächlich für die Schäden sein. Im April 2023 seien die Regularien zur Überwachung der verbauten Schwellen nochmals verschärft worden. Demnach gelten nun strengere Kriterien zur Klassifizierung schadhafter Schwellen, für deren Herstellung die gleiche Gesteinsart verwendet wurde.

Intern rechnet die DB mit Kosten in dreistelliger Millionenhöhe durch das Schwellendebakel. Die Staatsanwaltschaft München II leitete wegen des Bahnunglücks Ermittlungen gegen Mitarbeiter der DB ein. Der Konzern wollte parallel mit einer internen Untersuchung durch eine Anwaltskanzlei klären, ob für das Zugunglück auch individuelle Fehler oder organisatorische Defizite im Unternehmen verantwortlich sein können.

Zahl der verdächtigen Bauteile vervielfacht

Die betroffenen Schwellen sind laut DB im gesamten deutschen Streckennetz verbaut, vorrangig jedoch in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Zunächst wurden bundesweit 200 000 Schwellen inspiziert, die baugleich wie die brüchigen Teile bei Garmisch waren und aus der Produktion der Leonhard Moll Betonwerke in München stammen. Später erklärte der DB-Konzern, dass weitere 130 000 Betonschwellen auch anderer Hersteller auf Schäden untersucht und falls nötig ausgetauscht werden müssen. Danach erhöhte sich die Zahl verdächtiger Bauteile nochmals massiv auf weit mehr als eine Million.

Die Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung (BEU) hatte bereits in einem Zwischenbericht festgestellt, dass „ein Mangel im Oberbau primär ursächlich“ für die tödliche Entgleisung gewesen sei. Die an der Unglücksstelle verlegten Spannbetonschwellen wiesen demnach Beschädigungen auf, die „auf einen Verlust der Vorspannung innerhalb der Schwelle schließen ließen“. Das habe zum „Versagen der Struktur und zum Wegbrechen der Schienenauflager“ geführt. Die Betonschwellen haben demnach die darauf befestigten Gleise nicht mehr ausreichend stabilisiert. Der Zug bei Garmisch entgleiste in einer langen Kurve, wo die seitlichen Kräfte auf den Unterbau besonders stark einwirken.