Christof Loys Inszenierung und Antonino Foglianis Dirigat dringen in Frankfurt in die Tiefenschichten von Bellinis „Norma“ vor, und Elza van den Heever glänzt in der Titelpartie.

Frankfurt - Zuletzt hat man den kleinen Mann mit dem Genießerbauch und den zackigen Bewegungen im Schwarzwald dirigieren gesehen: Beim Festival Rossini in Wildbad sorgt Antonino Fogliani seit Jahren dafür, dass der ratternde Motor unter den Gesangslinien stets gut geölt ist und präzise rotiert. In der nächsten Saison wird Fogliani an der Oper Stuttgart den „Barbier von Sevilla“ dirigieren, und die Premiere von Bellinis „Norma“ an der Oper Frankfurt hatte am Sonntagabend alles, um Freunden des Belcanto den Mund wässrig zu machen.

 

Erstaunlich, wirklich: Am Pult des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters erzeugt der Italiener einen Klang, dessen Detailreichtum, Beweglichkeit und Vielfarbigkeit locker die Behauptung aushebelt, Bellini sei ein hundsmiserabler Instrumentator gewesen. Trotz sehr beweglich gehaltener Tempi klingen die rhythmischen Begleitfiguren unter Foglianis Leitung wie gemeißelt, selbst die stürmisch genommenen Sechzehntelketten der Ouvertüre kommen präzise auf den Punkt, alles hat klare Kontur. Und, was bei einem Werk des Schöngesangs wohl am wichtigsten ist: Fogliani dirigiert auf die Sänger hin, arbeitet stützende Klangfarben für einzelne Gesangspassagen heraus, justiert die Dynamik im Graben stets mit Blick auf die Dramatik des Geschehens und die Lautstärkegrade der Sänger. Bei Fogliani müsste keiner schreien – dass Stefano la Colla als Pollione es anfangs trotzdem tut, liegt in der Natur der Besetzung (man hätte auch eine lyrischere Stimme wählen können) und ist ein Problem des Tenors, das sich aber im Laufe des Abends bessert. Dann hören wir immer wieder einen geschmeidigen Sänger, der zu Ausdruck und Intensität auch ohne von unten angeschliffene und zudem nicht immer genau erreichte Forte-Töne gelangt.

Gaelle Arquez ist eine glutvoll liebende und leidende Adalgisa, ihre weiche Stimme ist ein Ohrenschmaus.

Elza van den Heever singt und spielt die emotionalen Extreme der Norma überzeugend aus

Die Norma singt Elza van den Heever, ehemals Ensemblemitglied der Oper Frankfurt. Zu Beginn mag man noch bezweifeln, dass sie das ungemein breite Spektrum der Anforderungen an Vokalartistik und Ausdruck meistern wird, die Bellini für Giuditta Pasta maßschneiderte (später hat Maria Malibran bewiesen, dass sie’s noch viel besser konnte). Aber die anfangs darstellerisch eher verhaltene und im Ton eine Spur zu direkte Norma wird in Frankfurt zu einer in allen Facetten schillernden Figur, gesungen von einer Sopranistin, die genau angesetzte Forte-Attacken ebenso sicher beherrscht wie samtweich hingehauchte Pianissimi, die Koloraturen nicht nur ohne Verluste meistert, sondern mit einem reichen Spektrum an Klangfarben auskleidet. Dass van den Heever Spitzentöne ganz gelegentlich eine Spur zu tief ansetzt, bleibt vor diesem Hintergrund eine Marginalie. Auch darstellerisch gibt die Sopranistin alles. So entwickelt sich die Titelheldin von einer verhärteten, verhärmten, ja geradezu vermännlichten Funktionsträgerin zu einer Figur, deren emotionale Achterbahnen zwischen Liebe, Hass, Wut und Verzweiflung etwas packend Archaisches haben. Den extremen Gefühlen und Handlungen einer Medea und Elektra ist diese Norma ganz nah.

Wie aus der grauen Priesterin des Anfangs eine Frau wird, die den Mut und die ungeheure Kraft hat, sich über alle Grenzen und Lügen hinwegzusetzen und dafür sogar den Tod in Kauf zu nehmen: Das zeigt auch der Regisseur Christof Loy. Er inszeniert das Stück in einem holzgetäfelten Guckkasten von Raimund Orfeo Voigt, der mal bedrückend eng, mal ganz offen wirkt, und wie immer bei Loy sind jene Szenen am stärksten, in denen sich ein detailreich und intensiv gehaltenes Kammerspiel an einem Kollektiv reibt. Letzteres besteht – wie oft bei diesem Regisseur – aus grau gewandeten Statisten und Mitgliedern des vor allem im ersten Akt sehr klangschön singenden Opernchores, die immer wieder zur Kulisse erstarren, wenn vor ihnen die Solisten Arien oder Ensemblesätze singen. Zum Packendsten und psychologisch Subtilsten des Abends geraten das Duett von Norma und Adalgisa und anschließend das Terzett mit Pollione im ersten Akt, bei dem sich die Figuren im engen Raum bewegen wie elektrisch aufgeladene Teilchen, die sich wechselweise anziehen und abstoßen. Zu den feinen Einzelheiten von Loys Inszenierung, die wieder auf spektakuläre Weise unspektakulär, also ganz ohne Effekthascherei und Plakativität daherkommt, zählen die Reaktionen der beiden Kinder Normas, deren jüngeres nur verwirrt ist, während das ältere mehr mitbekommt und darauf mit Trotz und Ablehnung reagiert. Auch die Tatsache, dass im zweiten Akt die Schändung des heiligen Hains durch Pollione mit einer Schändung Adalgisas einhergeht, hat etwas überaus Zwingendes. Im blutigen Kleid ergänzt diese ideal auch die vielfach gebrochene Schlussszene. Norma selbst wird mit ihrer flackernden Fackel den Scheiterhaufen entflammen, auf dem sie sterben soll. Starke Frauen wie sie kann niemand stürzen – außer sie selbst.

Nochmals am 14., 17., 20., 23. und 27. Juni, Oper Frankfurt