Der NSA-Untersuchungsausschuss erhält die Selektorenliste der Amerikaner nicht. Dagegen will die Opposition nun klagen.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Hans-Christian Ströbele ist nicht für seine Bibelfestigkeit berühmt. Was er an diesem Donnerstag zu sagen hat, erinnert in der Tonlage aber sehr an die Apokalypse. Der Grünen-Veteran spricht von einer „dunklen Stunde des Parlaments“. Parteifreund Konstantin von Notz lässt sich über die Absichten seiner Kollegen von Union und SPD aus, als handle es sich um den Plan zur Selbstentleibung: „Die Rechte, die man hier abschafft, sind die Rechte, die einem morgen fehlen.“ Es geht um die Idee, einen Sonderermittler ins Kanzleramt zu schicken, um aufzuklären, was der Bundesnachrichtendienst (BND) für die Amerikaner in Europa ausspioniert hat. Dagegen läuft die Opposition Sturm.

 

Die Bundesregierung weigert sich mit Rücksicht auf Sicherheitsinteressen der USA, dem Untersuchungsausschuss insgesamt Einblick in die Liste der Suchbegriffe zu gewähren, die dem BND von der National Security Agency (NSA) zugespielt wurden. Statt dessen soll ein Vertrauensmann des Parlaments diese heikle Liste in Augenschein nehmen dürfen. Dieser Person würden damit mehr Rechte eingeräumt als den Abgeordneten selbst, beklagt sich Martina Renner, die Obfrau der Linken im Untersuchungsausschuss. Sie wertet das als „Verkehrung des Grundgesetzes“. Die Rechte des Bundestags würden ausgehebelt. „Wir sollen zu Hilfsdienern der Regierung werden“, schimpft Renner. Ihre Deutung klingt fatal nach einer Verschwörungstheorie: „Im Hintergrund orchestriert die Bundesregierung, was im Untersuchungsausschuss geschieht.“ Konstantin von Notz geht noch einen Schritt weiter. Er glaubt, es gehe um den „Versuch, die Kontrolle selbst zu kontrollieren“. Der Vorschlag, die Aufklärungsarbeit an einen Sonderermittler zu delegieren, sei „ein Misstrauensantrag gegen den Deutschen Bundestag“.

Die Grünen wollen Kalrsruhe anrufen

Das Protokoll der Stellungnahmen von Notz und Renner könnte Satz für Satz in die Begründung einer Verfassungsbeschwerde einfließen, welche die Oppositionsfraktionen anstreben. Unterdessen haben Union und SPD mit ihrer Mehrheit im Untersuchungsausschuss vorsorglich schon einmal beschlossen, einen Sonderermittler zu ernennen. Die Linke weigerte sich, dabei überhaupt nur abzustimmen. Die Grünen stimmten dagegen. Sie behalten sich jedoch vor, ungeachtet der angekündigten Klage bei der Kür einer entsprechenden Vertrauensperson mitreden zu wollen.

Ein Sonderermittler sei „grundsätzlich als erster Schritt geeignet“, um die Aufklärung der Spionageaffäre nach wochenlangem Verzögern nun rasch voran zu bringen, sagt der SPD-Sprecher im Untersuchungsausschuss, Christan Flisek. Dieses Verfahren gewährleiste, „dass das Parlament das Heft des Handelns in der Hand behält“. Die Bundesregierung habe schriftlich zugesichert, dass der Ermittler „völlig weisungsfrei“ sämtliche NSA-Spählisten einsehen könne, so Flisek. Man wolle erst im Lichte dieser Kontrollen beurteilen, ob weitere Schritte notwendig sind. Ein Bericht soll schon nach der parlamentarischen Sommerpause im Herbst vorliegen. Wie lange das Verfassungsgericht braucht, um über die Beschwerde von Grünen und Linken zu entscheiden, lässt sich nicht abschätzen. Der umstrittene Sonderermittler werde von der Bundesregierung „bestellt und bezahlt“, behauptet der Grüne von Notz. „Bezahlt“ klingt in diesem Fall wie gekauft. SPD-Mann Flisek widerspricht dieser Darstellung. Man werde sich am Paragrafen 28 des Gesetzes zur Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse orientieren. Die Auslagen des Ermittlers würden vom Bundestag bezahlt, nicht von der Regierung.

Gesucht wird jemand mit juristischer Expertise

Wer Sonderermittler werden soll, steht noch nicht fest. Unions-Obfrau Nina Warken sagt, man werde sich über die Besetzung in den nächsten Tagen Gedanken machen. SPD-Obmann Christian Flisek ergänzt, es werde eine Person mit juristischer Expertise gesucht, die keinem Parlament angehört. Nach Angaben aus der Koalition ist unter anderem der ehemalige Richter am Bundesverwaltungsgericht, Kurt Graulich, im Gespräch. Graulich, geboren in Offenbach, ist seit Anfang dieses Jahres pensioniert. Er lehrt auch an der Berliner Humboldt-Universität. Im laufenden Sommersemester hält er dort eine Vorlesung mit dem Titel „Sicherheitsrecht des Bundes – Recht der Nachrichtendienste in Deutschland“. Zuletzt dozierte er dabei über die „Grenzen des Auskunftsanspruchs“ gegenüber dem BND.