Nach vielen Verzögerungen und einem peinlichen Hickhack zwischen Verteidigung und Gericht geht der NSU-Prozess in die nächste Runde. Die Staatsanwaltschaft wirft Beate Zschäpe Mord aus Heimtücke vor.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

München - Karl Huber steht vor dem Münchner Oberlandesgericht in der Morgensonne. Es sind nicht halb so viele Menschen mehr hier wie vor einer Woche, als der sogenannte NSU-Prozess begann. Huber sagt: „Ich bin kein Prophet“, als er gefragt wird, ob am Dienstag noch die Anklage verlesen werden könne. Was soll der Präsident des Oberlandesgerichts München sonst sagen?

 

Es wird hier die Normalzeit neu definiert, noch bevor der Vorsitzende Richter Manfred Götzl die Verhandlung eröffnet. Zehn Minuten allein vergehen, bis Beate Zschäpe den Saal 101 betritt: in weißer Bluse, grauer Jacke, die Haare straff zurückgebunden. Wieder steht sie mit dem Rücken zum Saal. Wieder beginnt sie ein Parlando mit ihren Anwälten: Augenrollen, Schulterzucken, Lächeln. Manfred Götzl würde nun gerne anfangen – mit Präsenzen und Personalien. Zschäpes Anwalt Wolfgang Heer auch – mit weiteren Anträgen, nachdem die Befangenheitsanträge aus der letzten Woche zurückgewiesen worden sind. Heer sagt, er werde nicht jedes Mal förmlich ums Wort bitten, wenn er etwas sagen wolle. Götzl sammelt sich, um nicht zu scharf zu werden und antwortet: „Die Sitzungsleitung ist aber schon noch bei mir.“ Hier bahnt sich ein dauernder Konflikt an. Auch einer, der Alt gegen Jung heißt.

Heer sagt, sein Antrag sei „inhaltlich vorrangig“ . Es gibt, natürlich, noch mehr Anträge. Anlasshalber unterbricht das Gericht das erste Mal für zehn Minuten, aus denen immer zwanzig werden. Es herrscht „Kampfstimmung zwischen den Anwälten der Angeklagten und den Richtern“, wie es Memet Kilic formuliert, die Integrationssprecherin der Grünen im Bundestag.

Es wird nicht zügig vorangehen in diesem Prozess, und das liegt nicht nur an Zschäpes Anwälten. Manfred Götzl ist bemüht, auch wenn es ihn partienweise sichtlich Überwindung kostet, jede Anfrage zuzulassen, keinen Formfehler zu riskieren.

Die Anwälte Zschäpes fordern einen größeren Gerichtssaal

Thomas Bliwier, der Anwalt der Angehörigen des ermordeten Halit Yozgat, dringt darauf, dass zuerst die Anklage vorgelesen wird. Es gebe keinen Grund, dies nicht zu tun. Wolfgang Heer indes, Zschäpes Anwalt, kennt genug Gründe dagegen. Seine Ausführungen umfassen zehn Seiten Papier. Zschäpes Anwälte beantragen, die Hauptverhandlung auszusetzen, um in einem größeren Saal neu beginnen zu können. Heer sieht den Grundsatz der Öffentlichkeit verletzt.

Doch es gibt keinen größeren Gerichtssaal in München. Heer argumentiert, dass man den hätte finden können. Das World Conference Center in Bonn, der ehemalige Bundestag, wäre geeigneter gewesen. Auch die Anwälte von Ralf Wohlleben kündigen weitere Anträge an. Wohllebens zweiter Anwalt, Olaf Klemke, lässt schon einmal spüren, mit wem es das Gericht demnächst zu tun bekommt. Klemke fordert, seinem Mandanten einen weiteren Anwalt beizuordnen: Wolfram Nahraht. Der war der „Bundesführer“ der Wikingjugend, die sich in der Nachfolge der HJ verstanden hat. Klemke und Nahrath haben gemeinsam Täter aus dem rechten Milieu beim Gubener Hetzjagdprozess 1999 verteidigt.

Gegen 15.30 Uhr kann die Bundesanwaltschaft endlich beginnen, ihre Anklage vorzutragen. Sie wirft Beate Zschäpe vor, Gründungsmitglied des NSU gewesen zu sein und „in zehn Fällen heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen einen Menschen getötet zu haben“. Sie sei als Mittäterin an der Ermordung von acht türkischstämmigen, einem griechischstämmigen Opfer und der Polizistin Michele Kiesewetter in Heilbronn beteiligt gewesen. Außerdem werfen die Bundesanwälte Zschäpe vor, an zwei Sprengstoffanschlägen sowie an 15 Raubüberfällen beteiligt gewesen zu sein. Den vier Mitangeklagten werden Beihilfe zu verschiedenen Taten beziehungsweise Unterstützung der Terrorvereinigung angelastet.