Liegt ein Amtsinhaber im ersten Wahlgang nicht vorne, ist er als Oberbürgermeister abgewählt, glaubt Boris Palmer. Doch stimmt das überhaupt?

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer setzt bei seiner angestrebten Wiederwahl voll auf den ersten Wahlgang. „Auch wenn viele an einen zweiten Wahlgang glauben, ist es der erste Wahlgang, der entscheidet“, schrieb Palmer auf Facebook und kündigte an: „Sollte ich im ersten Wahlgang nicht vorne liegen, trete ich zum zweiten Wahlgang nicht an.“

 

Für Palmer ist dies die Lehre aus vielen OB-Wahlen in den vergangenen Jahren im Land. „Wenn der Amtsinhaber im ersten Wahlgang hinten liegt, ist er abgewählt und gewinnt auch den zweiten Wahlgang nicht.“ Bestes Beispiel sei für ihn Dieter Salomon (Grüne), 16 Jahre OB in Freiburg. Er hatte bei der OB-Wahl im Jahr 2018 im ersten Wahlgang mit 31 Prozent nur drei Prozentpunkte hinter seinem Herausforderer Martin Horn (parteilos) gelegen. Diesen Rückstand konnte er nicht mehr aufholen, sondern fiel im zweiten Wahlgang sogar noch leicht zurück. Horn siegte letztlich mit 44,2 Prozent.

Für Palmers These gibt es keine Belege

„So ist das immer“, stellte Palmer fest. Wissenschaftlich lässt sich seine These allerdings nicht bestätigen. Zuletzt sei die Zahl erfolgreicher Herausforderer bei OB-Wahlen in Baden-Württemberg zwar leicht gestiegen, sagte der Freiburger Politikwissenschaftler Michael Wehner gegenüber unserer Zeitung. Die lokalen Begebenheiten in Freiburg und Tübingen seien jedoch komplett unterschiedlich. Horn war damals nicht zuletzt durch eine starke Onlinekampagne erfolgreich, Salomon ignorierte hingegen die sozialen Medien. „Palmer hat diesen blinden Fleck ja nicht“, sagte Wehner.

Auch sonst gebe es keine Belege für Palmers Regel. Hin und wieder sei es so, manchmal aber auch ganz anders: so hatte der Konstanzer OB Uli Burchardt (CDU) bei seiner Wiederwahl vor zwei Jahren zunächst hinter seinem Konkurrenten Luigi Pantisano (Linke) nur Platz zwei erreicht. Auch hier betrug der Abstand knapp drei Prozent. Im zweiten Wahlgang zog Burchardt dann klar vorbei. Konstanz, wo es zunächst ebenfalls nach einem Dreikampf ausgesehen hatte, ehe der SPD-Kandidat zurückzog, sei „das perfekte Gegenbeispiel“, sagte Wehner. Dort war es sogar eine Wiederholung der Geschichte. Denn auch Burchardts Vorgänger Horst Frank (Grüne) hatte sich seine Wiederwahl im Jahr 2004 erst im zweiten Wahlgang sicher können. Auch er war zunächst zurückgelegen.

Palmer hat es mit fünf Konkurrenten zu tun

Palmer, der in Tübingen seit 16 Jahren amtiert, hat es am 23. Oktober mit insgesamt fünf Mitbewerbern zu tun. Als die wichtigsten Konkurrenten gelten Sofie Geisel, die von SPD und FDP unterstützt wird, sowie die Grünen-Kandidatin Ulrike Baumgärtner. Palmer selbst wird von der Alternativen Liste unterstützt, die im Gemeinderat mit den Grünen in einer Fraktionsgemeinschaft verbunden ist. Seine eigene Parteimitgliedschaft bei den Grünen ruht nach einem Zerwürfnis vorübergehend. Ein etwaiger zweiter Wahlgang würde drei Wochen später am 13. November stattfinden.