Ein voller Erfolg: Jeschi Paul leitet das Mitsing-Projekt Deine Stimme für den Osten im Laboratorium

Lokales: Armin Friedl (dl)

S-Ost - Eine Streitfrage entzweit derzeit die Leute im Stuttgarter Osten: Wer mag die Musik des Schweden-Quartetts Abba und wer mag sie nicht? – Beim jüngsten offenen Singen im neuen Laboratorium entschied sich eine beherzte Mehrheit, dafür zu sein. Aber es gab auch entschiedene Gegner: „Ich hasse Abba“, grollte sogar jemand laut und mit tiefer Stimme aus den hinteren Reihen, im Dunkeln blieb die Person freilich unerkannt. Aber egal: Als es darum ging, den ersten Abba-Erfolgshit „Waterloo“ anzustimmen, waren alle – ob Fans, oder Hasser – mit Feuereifer bei der Sache: Alle standen spontan auf, sangen und klatschten mit, und da war es auch nicht mehr weit zu den ersten Tanzschritten.

 

Bossa Nova an der Straßenkreuzung

So viel spontane Begeisterung war natürlich auch etwas der Dramaturgie dieses Abends geschuldet. Denn das, was es zuvor an Gesangsangeboten gab, war halt nun doch nicht so einfach gestrickt zum voll Drauflossingen wie „Waterloo“. Etwa „A Night Like This“ von Caro Emerald: Natürlich geht der Refrain dieses Stücks im Retro-Sound mit dem Bossa-Nova-Rhythmus runter wie Öl, und vom Refrain an herrschte auch subtropische Atmosphäre an der Kreuzung Wagenburg-/Ostendstraße. Wenn halt nur nicht die vielen Strophen dazwischen wären mit so viel Text. Oder „Lieblingsmensch“ von Namika: Ziemlich modern und neu und jung, oho, aber auch: na ja . . .

Aber das gehört eben auch zur Konzeption dieses Abends: Bekanntes singen, was so ziemlich jedem bestens vertraut ist, aber auch mal etwas anbieten, das ebenfalls Ohrwurm-Qualitäten hat, das es aber noch nicht so richtig in das allgemeine Liederbuch des guten Geschmacks geschafft hat. „Deine Stimme für den Osten – offenes Singen im Lab“ heißt diese Veranstaltung, die künftig jeden Monat einmal im Laboratorium stattfindet und die das Zeug hat, dort zur festen Einrichtung zu werden.

Vorsing-Traumata können überwunden werden

Der Zweck dieser Veranstaltung lautet kurz umrissen so: Jeder, der meckern, bruddeln oder sprechen kann, kann auch singen. Und Vorsing-Traumata aus Schulzeiten lassen sich beheben. Und singen wollen eigentlich so ziemlich alle, und sei es auch nur dann, wenn sie sich sicher sind, dass sie ganz alleine sind: Etwa beim Autofahren oder unter der Dusche. Anette Battenberg vom Laboratorium formuliert das noch präziser: „Raus aus der Dusche und rein ins Lab“.

Dass das ein Erfolg wird, dafür sorgt Jeschi Paul: Sie hat den Witz, den Esprit und das Temperament, dass sie auch all jene mitreißt, die sich bislang eigentlich sicher waren, dass sie überhaupt nicht singen können. Paul zeigt charmant, dass es doch eigentlich ganz einfach ist, eine Melodie zu singen. Das muss gar nicht viel, das muss nichts Großes sein, mit kleinen Schritten häufen sich die Erfolgserlebnisse, die gerade so wichtig sind fürs Selbstvertrauen.

Ich kann nicht singen

Und Paul hat dazu viel Erfahrung. Seit 2014 leitet die Gesangspädagogin in Stuttgart den Ich-kann-nicht-singen-Chor, der – der Name sagt es ja schon – vor allem für jene da ist, die meinen, dass sie nicht singen können. Und das mit großem Erfolg: Mehr als 100 Teilnehmer kommen inzwischen regelmäßig zu den Probenterminen, und das, obwohl es diese Ich-kann-nicht-singen-Projekte in vielen Städten Deutschlands gibt, auch im Stuttgarter Umland.

Im Laboratorium hat Paul als zuverlässigen Begleiter Klaus Rother am Klavier dabei, der am Instrument den nötigen Schwung vorgibt, indem er auch mal um die eine oder andere Schlagzahl vorprescht, damit der Gesang die richtige Würze bekommt. Er macht aber auch Vorschläge für eine zweite oder gar dritte Stimme oder einen Kanon. Und bei Stücken wie „Waterloo“, das alle mitreißt , machen das einige in der Anfängertruppe gar schon von selbst. Einfach, weil es sich halt anbietet. So entsteht eben Lust auf Gemeinschaft, die neugierig macht auf Fortsetzungen.

Was gab es sonst noch an diesem Abend? – Rio Reisers „König von Deutschland“ etwa, auch so etwas mit tollem Refrain, bei dem Mitgrölen einfach erwünscht ist, aber auch mit verdammt viel Text dazwischen. Oder „This Land is Your Land“ von Woody Guthrie. Weiter geht es am 19. Dezember um 19 Uhr.