Im Tiefkühlhaus Pyeongchang ist ausgerechnet das Sicherheitspersonal für aufkommende Unsicherheit verantwortlich.

Sport: Jürgen Kemmner (jük)

Pyeongchang - Am Samstag laden wir Sie ein in unseren Markt zum Winter-Fest. Wir öffnen um 19 Uhr unser Tiefkühlhaus, in dem minus 15 Grad herrschen, um mit Ihnen bei einem bunten Programm mit der Turnriege des TSV und den Sängern des Liederkranzes fröhliche Stunden zu verbringen. Für Leckereien sorgt unser Metzgermeister, die Getränke kommen aus unserer reich sortierten Getränkeabteilung. Warum hat in Deutschland weder Edeka noch Real noch Rewe und auch kein Discounter je eine solche Einladung ausgegeben? Weil sie nicht bescheuert sind im Lebensmitteleinzelhandel, weil niemand kommen würde. Nichts gegen Sportgruppen und Gesangsvereine – aber eine Hocketse im Kühlhaus? Gibt’s doch gar nicht.

 

Doch! Aber nicht bei Roller, sondern bei den Winterspielen in Südkorea. Zumindest war das zu befürchten. Noch am Mittwoch war Pyeongchang ein Freiluft-Kühlhaus, in dem das Thermometer nie über die Minus-zehn-Grad-Marke kletterte. Latent brach kollektive Panik aus bei den örtlichen Olympia-Funktionären: Wie sollte man die 35 000 Menschen aus aller Welt während der Eröffnungsfeier mit Darbietungen in Tanz und Musik davor bewahren, das Olympiastadion mit Erfrierungen an Händen und Füßen verlassen zu müssen? Wärmekissen, Thermo-Handschuhe, Heizdecken, Heizstrahler – alles, was irgendwen irgendwie irgendwo wärmen könnte, wurde eiligst herbeigeschafft. In Korea schätzt man (abgesehen von Nordkoreas Machthaber) nichts weniger, als unvorbereitet zu sein: Man möchte keinesfalls das Gesicht verlieren, wenn Millionen internationaler Sportsfreunde auf das Bergdorf mit 10 000 Einwohnern blicken. Doch plötzlich schwappte eine Hitzewelle über die Halbinsel. Der Ober-Meteorologe im Fernsehen sagte vorher, dass in Pyeongchang am Freitagabend gegen 21 Uhr die Temperatur etwa minus drei Grad betragen werde.

Dabeisein ist alles

Glück gehabt? Ein wenig. Denn wahrscheinlich waren Gäste unter den Eröffnungsfeiernden, die keine Eintrittskarte und keine Akkreditierung besaßen. Noroviren. Womöglich Millionen. Vor zwei Tagen wurden in Pyeongchang einige Fälle beim zivilen Sicherheitsdienst diagnostiziert, was ironisch anmutet – ausgerechnet Sicherheitspersonal ist verantwortlich für eine aufkommende Unsicherheit und drückendes Unwohlsein im Dunstkreis der fünf Ringe. Dabeisein ist alles, wird sich das Virus gedacht haben. Am Donnerstagabend waren es schon über 100 Leidende. Security-Leute, Polizisten, Mitarbeiter des Organisationskomitees und Beschäftige im Mediensektor sind unter den Noro-Opfern, sie werden von Soldaten ersetzt.

Stillgestanden! Im E-Mail-Postfach finden sich immer neue Merkblätter, auf denen man hingewiesen wird, sich 30 Sekunden lang die Hände mit Seife zu waschen. Wasser vor dem Trinken abzukochen, Früchte zu schälen. Zudem wird gesprüht. Immer häufiger, immer intensiver. In der riesigen Kantine im Mediendorf in Gangneung müssen die Hungrigen ihre Hände mit einer farblosen Flüssigkeit aus einer Sprühflasche desinfizieren. Sämtliche Helfer tragen Einmalhandschuhe. Wir warten auf den Tag, an dem wir ebenfalls zur Latex-Einheit im Kampf gegen das Virus eingezogen werden und verpflichtet sind, nur noch mit Fingerkondomen Texte in den Laptop zu tippen.

Noch verschont geblieben

Noch ist alles gut. Noch rast das Virus nicht im Riesenslalom durch den Darm oder macht weite Sprünge im Magen. Noch sind wir verschont geblieben. Wir werden also jede Stunde 30 Sekunden die Hände mit Seife massieren, nur ungeöffnete Wasserflaschen greifen, um zu trinken, und Bananen ordentlich schälen vor dem Verzehr. Jetzt beginnen wir allmählich zu begreifen, was viele Sportler meinen, wenn sie beim Interview sagen: „Der Druck bei den Olympischen Spielen ist schon größer als sonst.“ Man muss eben lernen, richtig mit diesem Druck umzugehen. Und mit Temperaturen unter minus zehn Grad ebenfalls.