Beim Superbowl war bisher – neben dem Spiel – die ausgefallene Werbung ein Hingucker für viele Zuschauer. Doch jetzt treten die Veranstalter auf die Spaßbremse: Die Botschaft heißt: Sex ist out. StZ-Kolumnist Oskar Beck findet das schade.

New York - Beim Superbowl wird neuerdings knallhart die Spaßbremse durchgetreten – zumindest was die Werbung betrifft. Während des großen Footballfinales sitzen jedes Jahr hundert Millionen Amerikaner vor dem Bildschirm, aber 80 Millionen davon nur wegen der TV-Werbeclips. Die sind in der Regel zum Umfallen komisch, auf jeden Fall aber das Maß aller Dinge, denn sie setzen Trends, und am Ende jeder Superbowl-Nacht weiß die Welt, wie der nächste Schrei in puncto TV-Reklame aussieht. In der Nacht von Sonntag auf Montag war es nun wieder so weit, der US-Sender Fox kassierte für jeden 30-Sekunden-Clip vier Millionen Dollar und wurde steinreich. Aber jetzt die schockierende Nachricht: Sex ist out.

 

Nicht einmal im Axe-Bodyspray-Spot war noch eine rassige Halbnackte zu sehen wie letztes Jahr – und die Internetfirma GoDaddy.com, bisher für brandheiße Werbung bekannt, ist umgeschwenkt auf taffe, vollständig bekleidete Jungunternehmerinnen. Voriges Jahr tauschte noch das Supermodel Bar Rafaeli einen langen Zungenkuss aus mit einem nicht direkt betörend wirkenden Computerfreak, der zudem aussah, als habe er Mundgeruch und Lippenherpes – und der Clip endete auf dem „Ad Meter“, dem Geigerzähler von „USA Today“ in Sachen Werbung, als abgeschlagenes Jahresschlusslicht.

Beim Superbowl wird jetzt auf Produktinfos statt Sex gesetzt

Sex sells? Vergessen Sie es. Die Superbowl-Spots setzen nicht mehr auf den Knalleffekt der Slapsticks und die knappen Bikinis, sondern auf Imagebildung durch mehr Produktinfos. Der Zuschauer sei erwachsener geworden, behaupten die Werbepsychologen, oder besser gesagt: „sophisticated“. Kelly O’Keefe, eine Uniprofessorin für Markenstrategie in Virginia, spürt: „Früher drehte sich alles um Bier und Busen – doch nun hat der Superbowl den Anspruch entdeckt.“

Anspruchsvoller, kultivierter, intellektueller – dieser neue, aus dem Nichts kommende Trend muss verdaut werden, im ersten Schreck halten ihn viele Männer vermutlich sogar für den schlimmsten Tiefschlag, seit „Bild“ das Girl auf Seite eins abgeschafft hat. Da kommt was auf uns zu. „Wenn Amerika hustet, kriegt der Rest der Welt Schnupfen“, hat die Automobil-Ikone Lee Iacocca gesagt – und wenn Amerika sagt, dass es mit dem Sex in der Werbung vorbei ist, ist Widerspruch sinnlos. Selbst „Wonderful Pistachios“ hat letzte Nacht in seiner Erdnusswerbung erstmals auf gewagte Tanzeinlagen verzichtet. Dafür sieht man plötzlich jugendfreie Joghurtwerbung, unterlegt von Bob Dylans Hit „I want you“ – wenn das sophisticated ist, werden jetzt viele meckern, kann der Weltuntergang nicht mehr fern sein. Ach ja, und Arnold Schwarzenegger hat brav und konservativ ein „Bud“ getrunken. Auch noch das Light. Das ist wie ein Rückfall in die überwunden geglaubten Zeiten der Werbung, als sich Uwe Seeler noch vor seinem Badezimmerspiegel mit Rasierwasser von Pitralon einrieb und unser Werbekaiser Franz Beckenbauer als Suppenkasper verriet: „Knorr in den Teller, Kraft auf den Tisch.“ Früher war die aufregendste Werbung oft die, die im letzten Moment fast noch scheiterte. Einmal wollte die Aftershave-Firma Brut mit Paul Gascoigne werben. Der Deal war unterschriftsreif, doch dann geschah auf der Pressekonferenz Folgendes:

„Seit wann verwenden Sie Brut?“, fragte einer.

„Ich verwende es gar nicht“, entgegnete Gazza darauf ziemlich ungerührt.

„Welches Rasierwasser verwenden Sie dann?“, bohrte der andere nach.

„Gar keins, ich kriege Ausschlag davon“, antwortete der eigenwillige Kicker.

Nur David Beckham war halb nackt zu sehen

Aber kommen wir nicht vom Thema ab, bleiben wir beim Superbowl. Nur David Beckham durfte in seinen H&M-Slips noch halbwegs sexy sein. Der Spot wurde auf einem Dach in London gedreht, und Beckham sagt: „Es war ein bisschen kalt, und ich war fast nackt.“ Sogar Beckham spürt den Gegentrend, seit ein CNN-Analyst namens Roland Martin während des Superbowl-Finales 2012 angesichts seines damaligen Unterhosenclips fuchsteufelswild ungefähr den Satz durch Amerika twitterte: „Falls irgendein Dandy auf eurer Superbowl-Party davon begeistert sein sollte, prügelt die Sch. . . aus ihm heraus!“ Schon da war abzusehen, wohin die Reise geht.

Einen Traum können wir jedenfalls ad acta legen: dass David Beckham und Scarlett Johansson jemals einen gemeinsamen Superbowl-Spot drehen.

Schon wenn Scarlett es solo versucht, bekommt sie neuerdings Ärger. Die Zensoren von Fox fielen neulich aus allen Wolken, als sie den Werbefilm der Kinogöttin für Soda Stream abnehmen wollten, denn Scarlett („Sorry, Cola und Pepsi“) attackierte darin zwei andere Superbowl-Großwerbekunden. Der Sender drohte mit Bann – und bat, diesen letzten Satz wegzuschneiden.

Scarlett macht Werbung für Sprudel

Nächstes Jahr würden sie vermutlich auch den Rest des Spots nicht mehr durchlassen: Da sieht man die amtierende „Sexiest Woman Alive“ mit einem Drink, das Gesicht in vergrößerter Großaufnahme, sie zieht an einem Strohhalm – und wenn Scarlett das tut, ist das kein bloßes Sprudeltrinken gegen den Durst, sondern mehr. Aber all das kommt künftig auf den Index.

Wenn Sie mich fragen: schade. Aber mich dürfen Sie nicht fragen. Denn wir im Met-Life-Stadion in East Rutherford waren privilegiert letzte Nacht. Während der Spielpausen wurden wir über diese zunehmend lustfeindlichen Superbowl-Spots hinweggetröstet durch die Cheerleaders, die da unten wackelten, wippten und mit den Wuscheln wedelten – und uns Sportfans kurz noch mal auf andere Gedanken brachten, bevor demnächst vollends dieses neue, intelligente Werbefernsehen beginnt, in dem David Beckham sich vermutlich rasiert wie früher Uwe Seeler, nur bieder und keusch, im Rollkragenpulli. Uns Uwe hat sich damals immerhin oben ohne rasiert, brustfrei, also halbnackt – und dazu auch noch sexy die Melodie von „Im Frühtau zu Berge“ vor sich hingepfiffen.