Ein Theater, das in eine Klappbox passt: Die Waiblinger Papier- und Schattentheatertage am 14. und 15. April zeigen die Vielfalt des Genres und liefern den Beweis dafür, dass großes Theater auch im Miniformat möglich ist.

Waiblingen - Wenn Helga und Alfred Happ mit ihrem Theater auf Tour gehen, brauchen sie weder einen Transporter noch einen Reisebus. Eine handliche Klappbox genügt, um Bühne und Ensemble zu befördern. „Und die Lampe klemme ich mir unter den Arm“, sagt Helga Happ. Als junges Mädchen hat die 74-Jährige aus Dettenhausen (Landkreis Tübingen) zum ersten Mal in ihrem Leben ein Schattenspiel gesehen: „Ich war fasziniert davon – der helle Schein der Lampe in der Dunkelheit und die Figuren, die sich bewegen und so ausdrucksvoll sind.“

 

Zum Glück habe ihr Mann das auch so empfunden, sagt Helga Happ: „Und so haben wir gemeinsam Schattentheater gespielt, anfangs für unsere Kinder, später zusammen mit ihnen.“ Die beiden Töchter sind mittlerweile um die 50 und längst aus dem Haus, doch Helga und Alfred Happ spielen immer noch. Am Sonntag, 15. April, sind sie mit ihrer Schattenbühne Happ und dem Stück „Der geschenkte Mond“ bei den Waiblinger Papier- und Schattentheatertagen im Kameralamtskeller zu Gast.

Festival zeigt die volle Bandbreite

Mit diesem zweitägigen Festival am 14. und 15. April, das die ganze Vielfalt des Papier- und Schattentheaters zeigt, feiert die Galerie Stihl ihr zehnjähriges Bestehen. Das passt – schließlich hat sich das Kunstmuseum an der Rems auf Arbeiten aus und auf Papier spezialisiert. Noch bis zum 22. April zeigt die Galerie die Schau „Scharf geschnitten – vom Scherenschnitt zum Papercut“. „Die Ausstellung hat den Anlass für die Papier- und Schattentheatertage gegeben“, erklärt Barbara Martin, die derzeitige Galerie-Leiterin: „Bei diesen wollen wir die volle Bandbreite aufzeigen, vom klassischen Theater im Stil des Biedermeier bis zu experimentellen Stücken.“

Neu erfinden mussten die Galerie-Mitarbeiter das Festival jedoch nicht: bis zum Jahr 2007 lud das Museum der Stadt Waiblingen alle zwei Jahre zum „Internationalen Dr. Kurt Pflüger Papiertheater-Festival“ ein. Initiator dieses Events war der damalige Museumsleiter Helmut Herbst, der ein begeisterter Sammler von Papiertheatern war und das Festival nach Kurt Pflüger, einem Erforscher der einst in Esslingen hergestellten Schreiberschen Papiertheater benannte. „Helmut Herbst hatte eine eigene Bühne und hat selbst gespielt“, erzählt die Galerie-Mitarbeiterin Stephanie Hansen, „für ihn war das Arbeit und Hobby in einem.“

„Wilhelm Tell“ kommt ins heimische Wohnzimmer

Die Anfänge des Papiertheaters liegen in der Biedermeier-Zeit. „Bürger durften nun Theater besuchen – und haben zu Hause im Familienkreis nachgespielt, was sie dort gesehen haben“, erklärt Stephanie Hansen. „Wilhelm Tell“ und das „Käthchen von Heilbronn“, „Fidelio“ und die „Zauberflöte“ standen beispielsweise auf dem Programm. Dank der Erfindung der Lithografie, mit der sich preisgünstig und schnell farbige Drucke in großer Zahl herstellen ließen, wurden Papiertheater wie die des Esslinger Schreiber-Verlags zum Familienspielzeug, das neben Spaß und Spannung auch Bildung vermittelte.

Das heimische Minitheater war also, auch von seinen Ausmaßen her, eine Art Vorgänger des Fernsehers. Wobei beim Papier- und Schattentheater die Fantasie eine große Rolle spielt. „Man bekommt hier, anders als in Filmen, nicht alles bis ins Detail präsentiert, das ist das Tolle daran“, findet Alfred Happ, der sagt, beim Schattentheater sei Vielseitigkeit gefragt, denn man sei nun mal Sprecher, Spieler, Beleuchter und Techniker in einem.

Enge Freundschaft zu Lotte Reiniger

Der Pfarrer und seine Frau waren eng befreundet mit der Scherenschnittkünstlerin Lotte Reiniger, die das Schattentheater stark geprägt hat und in den 1920er-Jahren mit dem ersten abendfüllenden Animationsfilm der Geschichte, „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“, berühmt wurde. Ihre letzten Monate hat Reiniger bei den Happs im Pfarrhaus verbracht, ihr Nachlass ist heute im Tübinger Stadtmuseum ausgestellt.

Lotte Reiniger, ihre Scherenschnitte und ihr Spiel hätten eine große Rolle gespielt für sie und ihren Mann, sagt Helga Happ. Die Lehrerin fertigt die Darsteller ihrer Schattenbühne alle selbst an – aus beschichteter Pappe, die geschwärzt wird. „Die Silhouette muss gut geschnitten sein und die Haltung muss stimmen“, betont Helga Happ. Denn da beim Schattentheater die Mimik komplett wegfällt, kann allein die Haltung vermitteln, was in der Figur vorgeht: ob sie fröhlich, traurig, wütend ist – und das womöglich alles nacheinander, im selben Stück, mit derselben Figur.